Marionetten
meines Mandanten ist prekär, Dr. Abdullah«, sagte sie, erst auf deutsch, dann, halblaut und etwas verkürzt, auf russisch. »Nach deutschem Gesetz darf er nicht in ein Land abgeschoben werden, wo ihm Folter oder die Todesstrafe droht. Leider setzen sich die deutschen Behörden genau wie die anderer westlicher Demokratien häufig über dieses Gesetz hinweg. Wir werden trotzdem in Deutschland Asyl beantragen.«
»Sie werden ? Wie lange hält sich Ihr Herr Mandant denn schon hier auf?«
»Er war krank und kommt erst langsam wieder zu Kräften.«
»Und in der Zwischenzeit?«
»In der Zwischenzeit ist mein Mandant ein verfolgter Staatenloser, der in großer Gefahr schwebt.«
»Aber die Gnade Allahs erlaubt es ihm, hier unter uns zu sein«, wandte Dr. Abdullah ein, alles andere als überzeugt.
»In der Zwischenzeit«, fuhr Annabel mit fester Stimme fort, »und bis wir die rechtsverbindliche Zusicherung haben, daß mein Mandant unter keinen Umständen in die Türkei oder nach Rußland ausgewiesen wird, weigert er sich, sich in die Hände der deutschen Behörden zu begeben.«
»Und in wessen Hände hat er sich statt dessen begeben, wenn ich fragen darf?« Dr. Abdullah ließ nicht locker. Seine Augen huschten von Annabel über Issa zu Brue und wieder zurück. »Ist er ein Betrüger? Oder Sie? Sind Sie am Ende alle Betrüger?« Jetzt schloß sein Blick auch Brue mit ein. »Ich bin hier im Dienste Allahs. Ich habe keine andere Wahl. Aber in wessen Dienst stehen Sie ? Diese Frage liegt mir auf dem Herzen: Sind Sie gute Menschen, oder wollen Sie mich vernichten? Sind Sie hier, um mich auf irgendeine Art, die ich nicht durchschaue, hereinzulegen oder Ihr böses Spiel mit mir zu treiben? Wenn ich Ihnen mit meiner Frage zu nahe trete, verzeihen Sie. Aber wir leben in schlimmen Zeiten.«
Brue, fest entschlossen, Annabel beizuspringen, bastelte noch an einer Antwort, als sie ihm zuvorkam. Diesmal verzichtete sie auf eine Übersetzung.
»Dr. Abdullah«, sagte sie mit einer Härte in der Stimme, die von Zorn herrühren mochte oder auch von Verzweiflung.
»Gnädige Frau?«
»Mein Mandant ist ein großes persönliches Risiko eingegangen, um sich heute abend mit Ihnen zu treffen und Ihren Hilfsorganisationen einen erheblichen Geldbetrag zu spenden. Er möchte geben, Sie sollen nehmen. Er verlangt nichts dafür …«
»Gott wird es ihm vergelten.«
»… außer der Zusicherung, daß eine der von ihm bedachten Organisationen für sein Medizinstudium aufkommt. Wollen Sie ihm diese Zusicherung geben oder seine Absichten weiter in Frage stellen?«
»So Gott will, wird sein Medizinstudium finanziert werden.«
»Er besteht allerdings darauf, daß Sie absolutes Stillschweigen bewahren, was seine Identität, seine Situation hier in Deutschland und die Herkunft der Gelder angeht, die er Ihren Stiftungen übereignen will. Das sind die Bedingungen. Wenn Sie sich daran halten, wird er es ebenfalls tun.«
Dr. Abdullahs Augen ruhten wieder auf Issa – der gehetzte Blick, die abgehärmten, von Schmerz und Verwirrung gezeichneten Züge, die ineinandergeschlungenen mageren Hände, der fadenscheinige Mantel, das Scheitelkäppchen, der Stoppelbart –, und allmählich wurde seine Miene milder.
»Issa, mein Sohn.«
»Mein Herr.«
»Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie in den Lehren unserer großen Religion nur unzureichend unterwiesen worden sind?«
»Das ist wahrl« rief Issa mit einer Stimme, die sich vor Ungeduld überschlug.
Aber Abdullahs kleine, kluge Augen hingen an dem Armband, das Issa nervös durch die Finger gleiten ließ.
»Dieses Schmuckstück, das Sie da tragen, Issa, ist das aus Gold?«
»Aus reinstem Gold, mein Herr« – mit einem furchtsamen Blick auf Annabel, während sie dolmetschte.
»Und das Büchlein: stellt es den Koran dar?«
Issa nickte, noch bevor Annabel mit dem Übersetzen fertig war.
»Und ist der Name Allahs – sind SEINE heiligen Worte – in die Seiten eingraviert?«
Issas »Ja, mein Herr« kam erst nach einer langen Pause und war nur an Annabel gerichtet.
»Und ist Ihnen nie zu Ohren gekommen, Issa, daß solche Objekte und ihre Zurschaustellung nichts als armselige Imitationen christlicher und jüdischer Praktiken sind – des goldenen Davidsterns etwa, oder des christlichen Kreuzes – und uns somit verboten?«
Issas Miene verdüsterte sich. Er senkte den Kopf und starrte auf das Armband in seiner Hand.
Annabel kam ihm zu Hilfe: »Es hat seiner Mutter gehört«, sagte sie, ohne auf
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