Marionetten
würde MEILENSTEIN nach seinem Stelldichein in der Bank die Nacht verbringen? Oder wo glaubte er, daß er sie verbringen würde? Wenn Freunde auf ihn warteten oder wenn er ein Hotelzimmer reserviert hatte – oder wenn er vorhatte, spätabends noch heimzufahren und in seinem eigenen Bett zu schlafen –, dann konnten Bachmanns acht Stunden mit ihm schnell auf drei oder vier zusammenschnurren.
Aber zumindest in diesem Punkt war Fortuna den Planern hold gewesen. MEILENSTEIN würde bei Fuads Schwager übernachten, einem Iraner namens Cyrus, bei dem er schon öfter zu Gast gewesen war, und Cyrus hatte Fuad den Hausschlüssel zukommen lassen, da er mit der Familie Freunde in Lübeck besuchte und erst am nächsten Tag zurücksein würde.
Und um das Glück komplett zu machen, würde MEILEN-STEIN allein dorthin gelangen, wenn seine Geschäfte in der Bank erledigt waren. Fuad hatte unbedingt vor der Bank warten wollen, aber das duldete MEILENSTEIN nicht:
»Fahr du bitte weiter zu deinem guten Schwager, den Gott behüten möge, und mach dir keine Gedanken um mich, Fuad«, hatte er, noch von daheim aus, bei ihrem Telefonat insistiert. »Das ist ein Befehl, lieber Freund. Dein Herz ist zu groß für deine Brust. Wenn du nicht achtgibst, wird Allah dich vor deiner Zeit zu sich befehlen. Ich werde mir von der Bank aus ein Taxi nehmen, sorge dich also nicht um mich.«
Daher das leere Taxi, das neben dem Überwachungswagen bereitstand.
Daher Bachmanns Photo auf der plastikverschweißten Taxilizenz über dem Armaturenbrett.
Und daher Bachmanns ärmliche Jacke und Seemannsmütze, die an der Tür ins Wageninnere hingen. Wenn alles glattlief, würde dies die Montur sein, in der er den entführten MEILENSTEIN in die konspirative Wohnung unten am Hafen brachte, auf daß seine Zwangsbekehrung zum Pfad der Tugend beginnen konnte.
»Drei Wünsche habe ich bis morgen früh«, hatte Erna Frey noch verkündet, bevor sie zur Tür hinausgerauscht war. »Erstens, daß wir MEILENSTEIN im Sack haben. Zweitens, daß sich FELIX und dieses arme Mädchen wieder in freier Wildbahn befinden, und drittens mußt du bitte, bitte im Zug nach Berlin sitzen. Gepäckwagen von mir aus. Hauptsache einfache Fahrt.«
»Und für dich selber?«
»Meine Rente und mein hochseetüchtiges Boot.«
* * *
MEILENSTEIN wurde um 22 Uhr bei Brue Frères erwartet.
Um 20.30 Uhr, so die laufenden Berichte von Mohrs Fahndern, war Fuad vor MEILENSTEINS Haus vorgefahren, in dem nagelneuen BMW Coupé 335Ì, der sein ganzer Stolz war. Daß es der BMW sein würde, war zu spät bekannt geworden, um ihn noch zu verwanzen.
MEILENSTEIN schien guter Dinge, als er aus der Tür trat.
Sie sollten wachsam sein und Gott preisen, lautete sein Abschiedsbefehl an Weib und Kinder, von den Richtmikrophonen auf der anderen Straßenseite getreulich eingefangen. Die Abhörer meinten aus seiner Stimme einen »besonderen Unterton« herauszuhören. Einer sprach von »böser Vorahnung«, ein anderer meinte, er klinge, als würde er zu einer langen Reise aufbrechen, bei der ihm die Rückkehr ungewiß erschien.
Um 21.14 Uhr meldete die Hubschrauberüberwachung das Eintreffen des BMW in einem nordwestlichen Vorort der Stadt, wo er auf einen Parkplatz einbog, vermutlich zum Zwecke des Betens und Zeittotschlagens bis zu MEILEN-STEINS Termin in der Bank. Entgegen arabischen Gepflogenheiten war MEILENSTEIN notorisch pünktlich.
Um 21.16 Uhr – nur zwei Minuten später also – teilten Bachmanns Spitzel mit, daß FELIX und Annabel planmäßig ihre Fahrt zu Brue Frères angetreten hatten, in der Limousine, die von FELIX geordert und von Arni Mohr bereitwilligst zu Verfügung gestellt worden war.
Aus seiner Sperrzone bestätigte Mohr ihre sichere Ankunft – die zwar gerade bestens auf Maximilians Bildschirm zu beobachten gewesen war, aber Doppelspiel aller Art hatte es Arni Mohr nun mal angetan.
Um 21.29 Uhr erfuhr Bachmann von keinem Geringeren als Axelrod in Berlin, daß Ian Lantern es geschafft hatte, sich in die Sperrzone zu mogeln, und mit seinem Peugeot in einer Sackgasse mit Exklusivblick auf die Bank parkte, neben sich einen nicht identifizierten Beifahrer.
Bachmann, mittlerweile zu sehr in Einsatzstimmung, um die Nerven zu verlieren, bezähmte seine Wut und sein Entsetzen. Statt dessen fragte er Axelrod über die verschlüsselte Verbindung mit leiser, gefaßter Stimme, wessen Fürsprache Lantern denn bitte schön den Zutritt zum Allerheiligsten verdankte.
»Er hat genausoviel Recht aufs
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