Marionetten
Telefonnummer hatte!
Und Sie, Annabel Richter von Fluchthafen Hamburg, wohin gehören Sie? Auf die Sieger- oder die Verliererseite? Wenn Sie die Welt retten wollen, vermutlich letzteres. Aber Sie werden mit Glanz und Gloria untergehen, soviel ist sicher. Edward Amadeus wäre Ihnen vom Fleck weg verfallen.
Ohne lange zu überlegen, wählte Brue zum zweitenmal ihre Nummer.
3
Erste Kunde von Issas Anwesenheit erreichte das beengte Quartier der Spezialeinheit Hintergrund im Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz spätnachmittags am vierten Tag seiner Wanderungen kreuz und quer durch die Stadt, etwa zu der Zeit, als er zitternd und schwitzend vor Leylas Tür stand und um Einlaß bettelte.
Die »Neuen«, wie sie bei ihren unfreiwilligen Gastgebern nur hießen, waren auf dem Gelände des Landesamtes untergebracht, allerdings nicht im Hauptgebäude, sondern am äußersten Rand des Komplexes, so dicht an der natodrahtbewehrten Umzäunung, daß man aufpassen mußte, sich nicht zu schneiden. Charmelose Behausung des sechzehnköpfigen Teams mit seinem dürftigen Aufgebot an Auswertern, Observationskräften, Abhörern und Fahrern war ein ehemaliger Pferdestall der SS, der sich durch eine kaputte Turmuhr und einen unverbaubaren Blick auf alte Autoreifen und verwilderte Schrebergärten hervortat.
Zu verdanken hatte man diese Einquartierung der neugeschaffenen Koordinierungszentrale in Berlin, die sich die Entrümpelung der zersplitterten und notorisch ineffizienten deutschen Nachrichtendienste auf die Fahnen geschrieben hatte, weshalb man in den »Neuen« den ersten Schritt weg von altbewährten Demarkationslinien und hin zu einer stromlinienförmigen, integrierten Organisation sah. Wenngleich auf dem Papier dem Stadtstaat Hamburg unterstellt und mit keinerlei bundespolizeilichen Befugnissen ausgestattet, war die Einheit weder dem Landesamt Rechenschaft schuldig noch der Bundesbehörde in Köln, sondern ebenjenem nebulösen, allmächtigen Gremium in Berlin, das sie den Verfassungsschützern aufs Auge gedrückt hatte.
Aus was oder wem aber bestand dieses allmächtige Berliner Gremium? Seine bloße Existenz erfüllte die Herzen der eingesessenen deutschen Geheimdienstler mit Furcht. Sicher, offiziell war es nichts weiter als eine Arbeitsgruppe, gebildet aus Spitzenleuten der fraglichen Dienste und betraut mit der Aufgabe, nach einer Serie beinahe-geglückter Terroranschläge auf deutschem Boden die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern. Nach einer Reifungsphase von sechs Monaten – so die amtliche Version – sollten ihre Empfehlungen den beiden Machtzentren des deutschen Geheimdienstwesens, Innenministerium und Kanzleramt, zur Beurteilung vorgelegt werden, und damit hatte sich die Sache.
Oder auch nicht. In Wahrheit nämlich war der Auftrag der Zentrale von welterschütternder Bedeutung, bestand er doch in nichts Geringerem als der Schaffung eines völlig neuen Führungssystems, das alle größeren und kleineren Nachrichtendienste unter sich vereinen und, etwas nie Dagewesenes in der bundesdeutschen Bürokratie, einem einzigen Mann unterstellt sein sollte, einem Chefkoordinator ganz neuen Stils, der mit ungeahnten Befugnissen ausgestattet sein würde.
Aber wer würde dieser allgewaltige neue Geheimdienstzar sein? Niemand zweifelte daran, daß er aus den schattenhaften Reihen des Gremiums selbst hervorgehen würde. Aber aus welchem Lager? So ungewiß, wie das politische Gleichgewicht durch das derzeitige Tauziehen in der Regierungskoalition war – in welche Richtung würde er tendieren? Welche Loyalitäten, welchen verborgenen Plan würde er zu seiner Herkulesarbeit mitbringen? Was für Versprechen hatte er zu halten? Und auf wessen Einflüsterungen würde er hören, wenn er seinen neuen Besen schwang?
Würden beispielsweise die geplagten Verfassungsschützer bei der Aufklärung im Inland noch mehr Kompetenzen an das Bundeskriminalamt verlieren? Würde der Bundesnachrichtendienst nach wie vor als einziger zu verdeckten Operationen im Ausland berechtigt sein? Und wenn ja, würde er sich endlich seines Ballasts an Exsoldaten und Quasidiplomaten entledigen, von denen die Außenstellen voll waren? – gute Leute allesamt, wenn es um die Verteidigung deutscher Botschaften in Zeiten des Aufruhrs ging, aber nur bedingt geeignet für die diffizile Aufgabe, ein geheimes Agentennetzwerk aufzuziehen und zu steuern.
Kein Wunder also, daß bei soviel Argwohn und Ängsten, wie sie momentan in der Geheimdienstwelt schwelten,
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