Marionetten
Ziffern eines dänischen Kennzeichens auszumachen. Maximilian kämpft mit den Konsonanten und verliert. Seine hübsche Freundin, die Halbaraberin Niki aus der Abhörabteilung, kommt ihm zu Hilfe.
»Die Schweden haben die anderen blinden Passagiere über ihn ausgefragt«, sagt sie, und Maximilian nickt dazu. »Er war unterwegs nach Hamburg. Für ihn mußte es Hamburg sein oder gar nichts. In Hamburg sollte sich für ihn alles fügen.«
»Hat er vielleicht auch gesagt, wie?«
»Nein. Nur geheimnisvoll dreingeschaut und geschwiegen. Seine Mitfahrer dachten, er hat ein Rad ab.«
»Die hatten im Zweifel alle ein Rad ab, als sie endlich aus diesem Container rauskamen. Welche Sprachen spricht er?«
»Russisch.«
»Nur Russisch? Kein Tschetschenisch?«
»Laut den Schweden nicht. Vielleicht haben sie’s auch bloß nicht probiert.«
»Aber sein Vorname ist Issa. Also eigentlich Jesus. Jesus Karpow. Er hat einen russischen Nachnamen und einen muslimischen Vornamen. Wie kommt er dazu, verdammt?«
»Niki hat ihn nicht getauft, Günther-Schatz«, murmelt Erna Frey.
»Und wenn er schon Russe ist, warum hat er dann keinen Vatersnamen?« mault Bachmann. »Was ist mit seinem -witsch passiert? Im Gefängnis vergessen, oder wie?«
Statt auf die Frage einzugehen, lenkte Niki die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf die Verdienste ihres Liebsten. »Maximilian hatte diese absolut geniale Idee, Günther. Der nächste Anlaufhafen des Schiffs war Kopenhagen, der Junge wollte nach Hamburg – also hat er sich einfach bei allen Zügen aus Kopenhagen die Überwachungsbilder von den Bahnsteigen angesehen!«
Bachmann, sparsam mit Lob wie immer, tat so, als hätte er sie nicht gehört. »Und Issa Nix-witsch Karpow war der einzige, der aus diesem dänischen Laster mit dem zugehängten Nummernschild gestiegen ist?«
»Er war allein. Oder, Maximilian? Solo.« Eifriges Nicken seitens Maximilians. »Niemand sonst ist aus dem dänischen Laster ausgestiegen, und der Fahrer blieb im Führerhaus.«
»Und der alte Fettsack, wer ist das?«
»Der alte Fettsack?« Niki geriet kurzfristig aus dem Konzept.
»Dieser Fettsack mit dem Pappbecher. Der auf dem Bahnhofsplatz mit unserem Mann geredet hat. Mit der schwarzen Lotsenmütze auf dem Kopf. Hab nur ich den alten Fettsack gesehen? Garantiert nicht. Der Junge hat dem alten Fettsack ja schließlich geantwortet. In welcher Sprache? Russisch? Tschetschenisch? Arabisch? Latein? Altgriechisch? Oder spricht unser Mann Deutsch, und wir wissen es nur nicht?«
Maximilian meldet sich schon wieder. Mit der anderen Hand klickt er auf den Aufnahmen des alten Fettsacks herum, holt ihn näher heran. Er zeigt ihn in Echtzeit, dann in Zeitlupe: ein vierschrötiger Glatzkopf mit soldatischer Haltung und Schaftstiefeln, der feierlich einen Styropor- oder Pappbecher offeriert. Seine Gebärden haben etwas eigentümlich Würdevolles, fast Priesterliches. Und ja, der alte Fettsack und unser Mann wechseln unbestreitbar ein paar Sätze.
»Und jetzt das Handgelenk.«
»Handgelenk?«
»Das von dem Jungen«, blaffte Bachmann. »Die rechte Hand von dem Jungen, Himmelarsch. Mit der er den Kaffee nimmt. Halt direkt drauf!«
Ein zierliches Kettchen, Gold oder Silber. Daran baumelnd ein winziges Buch, aufgeschlagen. »Wo ist Karl? Ich brauche Karl!« Bachmann dreht sich um die eigene Achse, die Hände von sich gestreckt, als hätte man ihn beraubt. Aber Karl steht direkt vor ihm: Karl, der ehemalige Straßenjunge aus Dresden, drei Jugendstrafen, Diplom in Soziologie. Karl mit dem schüchternen, hilfesuchenden Lächeln.
»Fahr gleich mal rüber zum Bahnhof, Karl. Vielleicht hat der alte Fettsack unseren Mann ja doch nicht so zufällig angesprochen. Vielleicht hat er ihm Anweisungen gegeben, vielleicht ist er sogar sein Kontaktmann. Oder er ist nichts weiter als ein einsamer alter Knacker, für den es das Höchste der Gefühle ist, um zwei Uhr morgens am Bahnhof zu stehen und gutaussehende junge Penner mit Kaffee zu beglücken. Fühl den Leuten von der Bahnhofsmission auf den Zahn. Krieg raus, ob sie wissen, wer unserem Mann zu nachtschlafender Zeit zu trinken angeboten hat. Vielleicht ist er ja öfters da. Photos zeig ihnen lieber keine, das verschreckt sie nur. Laß deinen Charme spielen, und halt dich von der Bahnhofspolizei fern. Sieh zu, daß du eine anrührende Geschichte parat hast. Der alte Fettsack ist dein verloren geglaubter Onkel. Oder du schuldest ihm Geld. Hauptsache, du wirbelst keinen Staub auf. Sei diskret,
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