Marionetten
heruntergeladen, zu den übrigen Steckbriefen gehängt, die reihenweise die Wände im Aufenthaltsraum schmückten, und ansonsten ignoriert.
Aber Issas Züge mußten sich Maximilians innerem Auge eingebrannt haben, denn im Lauf der nächsten Stunden begann bei den Auswertern die Luft immer mehr zu knistern, und immer mehr Kollegen aus anderen Teilen des Pferdestalls fanden sich ein, um nichts von der Aufregung zu verpassen. Maximilian mit seinen siebenundzwanzig Jahren stotterte zum Gotterbarmen, aber er hatte ein Gedächtnis wie ein zwölfbändiges Lexikon und eine erstaunliche Gabe, scheinbar unwichtige Informationsfetzen zu einem Ganzen zusammenzufügen. Dennoch war es späte Nacht geworden, ehe er sich auf seinem Stuhl zurückfallen ließ und die langen sommersprossigen Finger hinterm Kopf verschränkte.
»Play it again, Maximilian«, befahl Bachmann und brach damit das andächtige Schweigen.
Maximilian errötete und klickte erneut auf Wiedergabe:
Issas Fahndungsphoto von der schwedischen Polizei, Vorderansicht, beide Seiten im Profil, mit einem breiten WAN-TED darüber und seinem Namen in Großbuchstaben wie eine Warnung: KARPOW, ISSA.
Ein fettgedruckter Zehn-Zeilen-Text, der ihn als flüchtigen militanten Muslim beschrieb, vor dreiundzwanzig Jahren geboren in Grosny, Tschetschenien, nachweislich gewalttätig, Vorsicht geboten.
Die Lippen fest zusammengepreßt. Kein Versuch eines unstatthaften Lächelns.
Die Augen schmerzhaft weit aufgerissen nach den Tagen und Nächten in der stinkenden Finsternis des Containers. Das Gesicht unrasiert, ausgemergelt, verzweifelt.
»Woher wissen wir, daß er seinen richtigen Namen angegeben hat?« fragte Bachmann.
»Hat er nicht« – Erna Frey sprang ein, da Maximilian noch mit den Worten rang. »Er hat einen tschetschenischen Namen angegeben, aber seine Freunde aus dem Container haben ihn verpfiffen. ›Das ist Issa Karpow‹, haben sie gesagt. ›Der russische Aristokrat.‹«
»Aristokrat?«
»Steht alles in dem Bericht. Seine Mitinsassen fanden ihn hochnäsig. Irgendwie abgehoben. Wie man in einem Container abgehoben sein kann, ist uns noch unklar.«
Maximilian hatte seine Anlaufschwierigkeiten überwunden. »Die schwedische Polizei geht davon aus, daß er aufs Schiff zurückgekehrt ist und die Besatzung bestochen hat«, brach es in einem enormen Wortschwall aus ihm heraus. »Und Zielhafen des Schiffs war Kopenhagen« – das Wort ein veritabler Triumph der Willenskraft über die Natur.
Verschwommene Aufnahmen eines dünnen bärtigen Mannes in langem, dunklem Mantel, Kefije und zickzackgemustertem Scheitelkäppchen, der im Dunkeln von der Ladefläche eines Lasters springt.
Winken von Seiten des Fernfahrers.
Kein Winken von Seiten des ausgestiegenen Passagiers.
Ein Bahnhofsplatz, unschwer als der des Hamburger Hauptbahnhofs zu erkennen; lange Reihen schmutzigweißer Taxis.
Derselbe dünne Mann liegt ausgestreckt auf einer Bank.
Derselbe dünne Mann setzt sich auf, spricht mit dickem, gestikulierendem Mann, nimmt Pappbecher mit Getränk von ihm an, trinkt.
Als nächstes, zum Vergleich übereinandergeschnitten, Issas Fahndungsphoto und vergrößerte Standphotos des dünnen bärtigen Mannes auf der Bahnhofsbank.
Noch ein Standphoto des dünnen bärtigen Mannes, diesmal zu voller Länge aufgerichtet auf dem Bahnhofsvorplatz.
»Die Schweden haben seine Körpermaße vermerkt«, brachte Maximilian nach mehreren Anläufen hervor. »Er ist groß. Über eins neunzig.«
Neben dem bärtigen Mann, der erst liegt, dann sitzt, erscheint ein virtueller Zollstock. Ein Meter dreiundneunzig, verkündet der Zollstock.
»Wie zum Teufel kommt man darauf, sich die Videoaufzeichnungen vom Hamburger Bahnhof vorzunehmen?« wunderte sich Bachmann. »Jemand zeigt dir ein schwedisches h Fahndungsphoto von einem Tschetschenen, der sich nach Dänemark abgesetzt hat, und du knöpfst dir die Penner vor, die * am Hamburger Hauptbahnhof abhängen. Ich sollte dich wegen parapsychologischem Getrickse aus dem Verkehr ziehen.«
Maximilian, dunkelrot vor Stolz, reckte überflüssigerweise die Hand, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, und tippte mit der anderen wieder auf die Maustaste.
Vergrößerung desselben Lasters auf dem Bahnhofsplatz, Seitenansicht, keine Beschriftung.
Vergrößerung desselben Lasters, Rückansicht. Maximilian zoomt das Nummernschild näher heran. Es ist halb mit einem schwarzen Lappen umwickelt. Unter dem Lappen sind ein Teil des EU-Emblems und die ersten beiden
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