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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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das Klima zwischen den rätselhaften Eindringlingen aus Berlin und ihren widerwilligen Hamburger Wirten bestenfalls frostig war, bis hinein in die kleinsten Details des täglichen Umgangs; kein Wunder auch, daß das Interesse, das Issas Auftauchen auf der einen Hofseite erregte, auf der anderen nicht zwingend auf Gegenliebe stieß. Ohne das scharfe – wie manche meinten, krankhaft scharfe – Auge von Günther Bachmann, dem eigenwilligen Leiter der Truppe, wäre die klammheimliche Einreise des Mannes, der sich Issa nannte, vielleicht völlig unbemerkt geblieben.
    * * *
    Und dieser Bachmann aus Berlin – was für einer war das?
    Wenn es auf dieser Welt Menschen gibt, die von klein auf für die Spionage bestimmt sind, dann gehörte Bachmann zu ihnen. Der polyglotte Sproß einer rassigen Deutsch-Ukrainerin, die von einer exotischen Ehe zur nächsten geflattert war, galt als der einzige Mitarbeiter seines Dienstes, der keine akademische Qualifikation vorweisen konnte außer einem bündigen Rausschmiß aus der Oberschule. Im Alter von dreißig war er bereits zur See gefahren, hatte den Hindukusch durchwandert, in einem kolumbianischen Gefängnis gesessen und einen tausendseitigen unveröffentlichbaren Roman geschrieben.
    Doch über dieser Fülle abseitiger Erfahrungen hatte er nach und nach auch zu seiner wahren Heimat und Berufung gefunden, erst als Gelegenheitsspion für diverse deutsche Außenposten, später als inoffizieller Botschaftsangehöriger ohne diplomatischen Rang: in Warschau seiner Polnischkenntnisse wegen, in Aden, Beirut, Bagdad und Mogadischu seiner Arabischkenntnisse wegen und in Berlin schließlich eines sagenumwitterten Skandals wegen, der ihn zu einer Zwangspause verdonnerte. Über die nähere Natur dieses Skandals gingen die Meinungen auseinander: Übereifer, behaupteten die einen; ein Erpressungsversuch, bei dem er sich überhoben hatte, die anderen; ein Selbstmord, erinnerte ein deutscher Botschafter sich eilfertig.
    Fest stand, daß er nach einer Weile, mit einem neuen Decknamen ausgestattet, wieder ausgerückt war nach Beirut, um dort weiterzubetreiben, was er schon immer erfolgreicher als jeder andere betrieben hatte, wenn auch nicht unbedingt regelkonform (aber wann hätten in Beirut je Regeln gegolten?): das Auftun, Anwerben und Führen von Agenten vor Ort, von jeher der Goldstandard echter Informationsbeschaffung. Doch mit der Zeit wurde auch Beirut ein zu heißes Pflaster für ihn, und ein Schreibtisch in Hamburg schien plötzlich vorzuziehen – wenn schon nicht ihm, dann wenigstens seinen Gebietern in Berlin.
    Aber Bachmann schob man nicht so leicht aufs Abstellgleis. Diejenigen, die Hamburg als Strafposten bezeichneten, wußten nicht, was sie da sagten. Mit seinen Mitte vierzig war Bachmann ein struppiger, aufbrausender Terrier von einem Mann, breit in den Schultern und nicht selten mit Asche auf dem Revers, zumindest so lange, bis die vortreffliche Erna Frey, seine langjährige Mitarbeiterin und Assistentin, sie ihm abklopfte. Er war ein Getriebener, charismatisch und mitreißend, ein Workaholic mit einem Lächeln, das Berge versetzen konnte. Das volle hellbraune Haar wirkte zu jugendlich für die furchengekerbte Stirn. Wie ein Schauspieler mußte er nur einen Hebel umlegen, und aus Charme und Schmeichelei wurde Drohung. Artigste Komplimente und gröbste Beleidigungen – bei ihm paßten sie in ein und denselben Satz.
    »Wir führen ihn an der langen Leine«, sagte er zu Erna Frey, während sie Schulter an Schulter in dem klammen Kabuff der Auswerter standen und ihrem Starhacker Maximilian zusahen, wie er Bild um Bild von Issa auf seine Monitore zauberte. »Wir lassen ihn mit den Leuten reden, mit denen er reden soll, wir lassen ihn da beten, wo er beten soll, und da schlafen, wo er schlafen soll. Keiner darf ihm in die Quere kommen, bevor wir es tun. Schon gar nicht die Saftsäcke von gegenüber.«
    * * *
    Die erste Sichtung Issas, wenn sie denn so genannt werden konnte, hatte bei niemandem großes Interesse erregt. Ein EU-weiter Fahndungsbefehl, ausgegeben vom Hauptquartier der schwedischen Polizei in Stockholm, setzte alle Mitgliedsstaaten davon in Kenntnis, daß ein illegaler russischer Einwanderer, Name, Photo und Beschreibung anliegend, aus schwedischem Gewahrsam entkommen war, derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt. Solche Fahndungsmeldungen kamen bis zu einem halben Dutzend am Tag herein. Beim Lagedienst auf der anderen Hofseite wurden sie ordnungsgemäß vermerkt,

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