Marionetten
Schutt begraben, alles Papier. Und unsere Herren Obertrottel von BND und Verfassungsschutz stocherten darin herum, um herauszufinden, wie zum Teufel sie die Sache dermaßen hatten versieben können. Genies aus der ganzen westlichen Welt kamen angeflogen, um kluge Ratschläge zu erteilen und sich selbst reinzuwaschen. Illusterste Verfassungsschützer aus Köln (Gott schütze uns vor unseren Beschützern)« – Gelächter, das er ignorierte »Top-Spione vom Bundesnachrichtendienst, die allwissenden Damen und Herren vom Parlamentarischen Kontrollgremium, Amerikaner von mehr Agenturen, als man je für möglich halten sollte – bei der letzten Zählung immerhin sechzehn! –, alle traten sie sich auf die Zehen, um vor jeder Türe zu kehren außer vor ihrer eigenen. Ganz ehrlich: so viele Klugscheißer haben in diesen Wochen damals ihren Senf dazugegeben, daß sich die armen Schweine, die den Laden schmeißen und die Scheiße wegräumen mußten, nur noch wünschten, sie hätten ihnen schon ein bißchen früher unter die Arme gegriffen. Dann hätte es nämlich keinen Mohammed Atta gegeben, und keine geifernde Pressemeute hätte ihnen ans Bein gepißt.«
Er drehte eine Runde durch den Heuboden, Ellbogen ausgestellt, Fäuste geballt.
»Hamburg hatte es verbockt. Alle anderen hatten es genauso verbockt, aber Hamburg bezog die Prügel.« Kurze Clownseinlage, bei der er beide Seiten einer imaginären Pressekonferenz spielte: »Sagen Sie doch bitte: Wie viele arabischsprechende Kräfte haben Sie derzeit in Hamburg im Einsatz?« quäkte er und hopste dann ein Stück nach links. »Hm, da müßte ich nachrechnen – ich meine, anderthalb.« Hopser nach rechts. » Wen genau haben Sie denn bitte abgehört und beschattet in den Monaten, die der Katastrophe vorausgingen?« Erneuter Hopser. »Tja, werte Kollegin von der Presse, was hatten wir da alles … ein paar Herren aus China, die im Verdacht standen, unsere Industriegeheimnisse stehlen zu wollen … halbwüchsige Neonazis, die jüdische Grabsteine mit Hakenkreuzen verschandelt haben … die nächste Generation der RAF … ach ja, und achtundzwanzig vergreiste Exkommunisten, die die gute alte DDR zurückhaben wollen.«
Er entschwand den Blicken, um am hinteren Ende des Heubodens wieder aufzutauchen: ein Büßer.
»Hamburg ist eine schuldige Stadt«, erklärte er düster. »Sei es bewußt, sei es unbewußt. Vielleicht hat Hamburg die Flugzeugentführer ja sogar angelockt. Haben sie uns ausgewählt? Oder wir sie? Was für Signale sendet Hamburg an den islamistischen, antizionistischen Nullachtfünfzehn-Terroristen aus, der es dem Westen so richtig zeigen will? Jahrhunderte des Antisemitismus? Treffer. Konzentrationslager gleich um die Ecke? Alles da. Gut, Hitler ist nicht in Blankenese zur Welt gekommen. Aber das kann purer Zufall sein. Die Baader-Meinhof-Bande? Ulrike Meinhof stammt hier aus der Gegend und war stolze Wahlhamburgerin. In arabischen Lagern ausgebildet! So dicke mit den Fanatikern dort, daß sie sogar zum Flugzeugentführen mitdurfte! Noch so ein Signal. Zu viele Araber lieben Deutschland aus den falschen Gründen. Unsere Selbstmordpiloten ja vielleicht auch. Wir haben sie nicht gefragt. Und jetzt ist es zu spät dafür.«
Er ließ das Schweigen eine Weile andauern, dann schien er die Depression abzuschütteln.
»Jetzt aber die gute Nachricht über Hamburg«, fuhr er energisch fort. »Wir sind ein Seefahrervolk. Wir sind ein weltoffener, linksliberaler, quicklebendiger Stadtstaat. Wir sind Eins-a-Geschäftsleute mit einem Eins-a-Hafen und einem Eins-a-Riecher für Profit. Unsere Ausländer sind keine Fremden für uns. Wir sind kein pupsiges kleines Provinznest, wo Ausländer wie Außerirdische wirken. Bei uns sind sie Teil der Landschaft. Im Lauf der Jahrhunderte haben Millionen von Mohammed Attas unser Bier getrunken, unsere Nutten gevögelt und sind zurückgekehrt auf ihre Schiffe. Und wir haben sie nicht begrüßt oder ihnen zum Abschied gewinkt oder sie gefragt, was sie hier machen, weil sie für uns eine Selbstverständlichkeit waren. Wir sind Deutschland, aber wir sind auch etwas Eigenes. Wir sind besser als Deutschland. Wir sind Hamburg, aber zugleich sind wir New York. Wir haben vielleicht keine Zwillingstürme. Aber die hat New York jetzt ja auch nicht mehr. Trotzdem, wir sind attraktiv. Wir haben das richtige Odeur für die falschen Leute.«
Wieder eine Pause, während der er das eben Gesagte abwog. »Wobei ich mindestens soviel Verantwortung bei
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