Marionetten
sei unsichtbar, wie du’s so gut draufhast. Alles klar?«
»Alles klar.«
Jetzt wendet sich Bachmann an sie alle: Niki, ihre Freundin Laura, ein paar Fahnder, die Karl nach oben gefolgt sind, Maximilian, Erna Frey.
»Also, Leute, ich fasse zusammen. Wir suchen nach einem Mann ohne Vatersnamen und ohne Bezug zur Normalität. Seiner Akte zufolge ist er ein militanter tschetschenischer Russe, ein Gewaltverbrecher, der sich aus dem türkischen Gefängnis freikauft (was hat er da drin überhaupt gemacht?), der die schwedische Hafenpolizei abhängt, der sich die Weiterfahrt auf dem Schiff erkauft, aus dem sie ihn gerade rausgezogen haben, der sich in Kopenhagen an den Kontrollen vorbeimogelt, einen Laster nach Hamburg chartert, einen Becher voll Was-auch-immer von einem alten Fettsack annimmt, mit dem er sich in weiß der Geier welcher Sprache unterhält, und ein Goldarmband mit dem Koran dran trägt. So ein Mann verdient unseren größten Respekt. Amen?«
Womit er in sein Büro zurückstampft, wie stets auf dem Fuße gefolgt von Erna Frey.
* * *
Waren sie miteinander verheiratet?
Gegensätzlicher als sie hätten zwei Menschen nicht sein können, also vielleicht ja. Während Bachmann körperliche Ertüchtigung jeglicher Art verabscheute, rauchte, fluchte, Whisky soff und für nichts Geduld aufbrachte mit Ausnahme der Arbeit, war Erna Frey groß, durchtrainiert und asketisch, mit praktischem Kurzhaarschnitt und einem energischen Gang. Ihre Eltern hatten sie nicht nur mit dem altjüngferlichsten aller Namen geschlagen, sie hatten sie auch auf eine elitäre Hamburger Klosterschule geschickt, aus der sie vollgepumpt mit deutschen Tugenden hervorgegangen war: Treu und Redlichkeit, Pünktlichkeit, Keuschheit, nichts fehlte, bis ihr beißender Humor und ihre gesunde Skepsis ein für allemal mit diesem Spuk aufräumten. Eine andere Frau hätte ihren antiquierten Vornamen vielleicht gegen ein flotteres Modell eingetauscht. Nicht so Erna. Bei Tennisturnieren schnitt und schmetterte sie sich zum Sieg über Gegner beiderlei Geschlechts. Bei Bergtouren ließ sie selbst junge Männer alt aussehen. Ihre größte Leidenschaft jedoch war das Einhandsegeln, und alle wußten, daß sie jeden Cent für ein Boot zurücklegte, mit dem sie die Welt umsegeln wollte.
Bei der Arbeit allerdings war dieses ungleiche Paar Mann und Frau, die alles miteinander teilten: Zimmer, Telefon, Akten, Computer, ihre Gerüche, ihre Unarten. Wenn Bachmann sich verbotenerweise eine seiner widerwärtigen russischen Zigaretten ansteckte, hustete Erna Frey demonstrativ und riß die Fenster auf. Aber weiter ging ihr Protest nicht. Bachmann konnte paffen, bis das Zimmer stank wie eine Räucherkammer, und sie sagte keinen Ton. Schliefen sie miteinander? Wollte man den Gerüchten trauen, hatten sie es mit dem Sex versucht und ihn zum Katastrophengebiet erklärt. Wenn sie aber Nachtschichten einlegten, hatten sie keinerlei Hemmungen, sich zusammen in dem engen Kämmerchen am Ende des Korridors schlafen zu legen.
Und als sich die neugebildete Spezialeinheit erstmals auf dem eilends umfunktionierten Heuboden versammelt hatte, der ab jetzt ihr Zuhause sein sollte, um dort mit Bachmanns badischem Lieblingswein und Erna Freys Wildschweinbraten mit Preiselbeeren begrüßt zu werden, hatten die zwei so liebevoll miteinander gewirkt, so bis ins Kleinste aufeinander eingespielt, daß es ihre Gäste nicht überrascht hätte, wenn sie Händchen gehalten hätten – bis zu dem Moment, hieß das, als Bachmann das Wort ergriff, um seine frisch ausgehobenen Truppen darüber ins Bild zu setzen, worin ihre Mission denn nun bestand. Seine Ansprache, zotig und messianisch zu gleichen Teilen, war bald Geschichtsunterricht der unorthodoxeren Art, bald Schlachtgesang. Sie ging in die Annalen ein als die Bachmann-Kantate und lautete wie folgt:
* * *
»Der elfte September hat nicht nur einen Ground Zero hinterlassen, sondern gleich zwei«, verkündete er ihnen, und im Reden durchmaß er mit schnellen Schritten den Heuboden, so daß er bald vom Geländer aus zu ihnen sprach, bald von der Rückwand aus, um im nächsten Moment unter den Dachbalken direkt vor ihnen aufzutauchen, ein vierschrötiger Flaschengeist, der jedes seiner Worte mit einem Fausthieb untermalte. »Der eine Ground Zero war in New York. Der andere Ground Zero, von dem man nicht annähernd so viel hört, war hier in Hamburg.«
Er deutete mit dem Ellbogen zum Fenster.
»Dieser Hof da draußen lag unter dreißig Metern
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