Marionetten
Heimat – immun, sie mußte es ja sein«, erklärte er mit bitterem Auflachen. »Wir Deutschen konnten überall hingehen, nackt! Nach wie vor! Wer sollte uns schon ein Haar krümmen, wir waren doch so wunderbar deutsch und immun! Gut, wir hatten ein paar islamistische Terroristen bei uns beherbergt, und drei davon waren losgezogen zum Sturm auf World Trade Center und Pentagon. Na und? Nur das war ja ihre Mission gewesen, und die hatten sie erfüllt. Sie hatten einen Schlag gegen das Herz des großen Satans persönlich geführt und waren dabei selbst draufgegangen. Wir waren ihre Startrampe gewesen, Himmelherrgott, nicht ihr ZieÜ Warum uns Sorgen machen? Also haben wir Kerzen für die armen Amerikaner angezündet. Und für die armen Amerikaner gebetet. Und ihnen jede Menge Solidarität bewiesen, die uns keinen Pfennig gekostet hat. Aber wie wir alle wissen, gab es bei uns einen Haufen Arschlöcher, denen es ganz recht war, daß die Festung Amerika endlich mal einen Denkzettel verpaßt bekam – und ein paar von diesen Arschlöchern saßen in Berlin ziemlich weit oben und tun es noch. Und als der Irakkrieg kam und wir tugendhaften Deutschen uns raushielten, machte uns das nur noch immuner. In Madrid gab es Anschläge. In Ordnung. Und in London gab es Anschläge. Geschenkt. Aber nicht in Berlin, nicht in München, nicht in Hamburg. Wir waren ja immun!«
Er hatte sich in einer Ecke postiert und sprach in verschwörerischem Ton schräg zu ihnen herüber.
»Aber die Sache hatte zwei klitzekleine Haken, meine Lieben. Haken Nummer eins war die Tatsache, daß wir den Amerikanern Militärstützpunkte vom Feinsten zur Verfügung gestellt haben, weil wir nämlich Abkommen mit ihnen hatten, noch aus der Zeit, als sie hier die Siegermacht waren. Wißt ihr noch das prächtige schwarze Transparent, das unsere verehrte Regierung ans Brandenburger Tor gehängt hat? Wir trauern! Our deepest sympathy! Das hing da nicht zufällig. Haken Nummer zwei war unsere unbeirrbare, uneingeschränkte, schuldbewußte Unterstützung für den Staat Israel. Wir haben Israel gegen die Ägypter unterstützt, gegen die Syrer, die Palästinenser. Wir haben es gegen die Hamas unterstützt und gegen die Hisbollah. Und als Israel den Libanon in Schutt und Asche gebombt hat, da haben wir Deutschen gehorsam unser schuldzerfressenes Gewissen erforscht und nur davon geredet, wie das tapfere kleine Israel verteidigt werden könnte. Und wir haben unsere tapferen Jungs in Uniform in den Libanon geschickt, um genau das zu tun – und uns damit keine Freunde unter den Libanesen und sonstigen Arabern gemacht, die nämlich fanden, daß wir uns als Beschützer eines randalierenden Rüpels aufspielen, der schon den Segen und die Rückendeckung nicht nur von Bush und Blair hatte, sondern auch von etlichen anderen mutigen Staatsoberhäuptern, die aus Gründen der Bescheidenheit lieber ungenannt bleiben wollten.
Und als nächstes tauchten in unserer Deutschen Bahn ein paar libanesische Bomben auf, die, wenn sie hochgegangen wären, London und Madrid wie eine bloße Generalprobe hätten aussehen lassen. Danach mußten selbst unsere Politiker zugeben, daß es seinen Preis hat, wenn man den Amerikanern öffentlich den Stinkefinger zeigt und ihnen privat in den Arsch kriecht. Plötzlich waren die deutschen Städte potentielle Anschlagsziele. Und das sind sie nach wie vor.«
Er ließ den Blick wandern, musterte ihre Gesichter eins nach dem anderen. Maximilians Hand hatte sich in die Höhe gereckt, um einen Einwand anzumelden. Nikis neben ihm desgleichen. Noch andere folgten. Das gefiel ihm, und er lächelte breit.
»Schon gut. Spart euch die Puste. Ihr wollt sagen, daß die Kofferbomber mit ihren Planungen zu einem Zeitpunkt begonnen hatten, als sie von den neuesten Zerstörungen im Libanon noch gar nichts wissen konnten, hab ich recht?«
Die Hände sanken wieder herab. Er hatte recht.
»Sie hatten sich über ein paar sehr schlechte dänische Mohammed-Karikaturen geärgert, die einige deutsche Zeitungen abdruckten, weil sie glaubten, damit Rückgrat zu zeigen und der Freiheit zu dienen. Gebongt?«
Gebongt.
»Aber liege ich deshalb falsch? Überhaupt nicht! Was in ihrem Oberstübchen den Auslöser betätigt hat, ist letztlich scheißegal. Entscheidend ist doch, daß die Bedrohung, mit der wir es hier zu tun haben, nicht zwischen individueller und kollektiver Schuld unterscheidet. Sie sagt nicht: ›Du bist gut und ich bin gut, und Erna da drüben ist schlechte Sie sagt:
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