Marionetten
›Wir sind ein einziger Haufen von Ungläubigen, Gotteslästerern, Mördern und Hurenböcken, also zur Hölle mit uns allen^ Für diese Jungs – und alle ihre Gesinnungsgenossen, die wir so gern kennenlernen möchten – steht der Westen gegen den Islam, und dazwischen gibt es nichts.«
Und ohne weitere Umschweife kam er auf den Punkt.
»Die Quellen, nach denen wir frischgekürten Parias hier in Hamburg Ausschau halten, müssen von uns aus dem Boden gestampft werden. Sie wissen nicht, daß es sie gibt, ehe wir es ihnen nicht sagen. Sie kommen nicht zu uns. Wir finden sie. Wir bleiben bescheiden. Wir bleiben vor Ort. Wir sind für die Details zuständig, nicht für die große Vision. Wir haben kein festes Ziel, auf das wir sie ansetzen. Wir suchen uns einen Mann, wir bauen ihn auf, wir loten sein Potential aus und führen ihn so weit, wie er mitgeht. Oder sie. Wir arbeiten mit den Menschen, mit denen sich außer uns keiner abgibt. Den knubbligen kleinen Kaftanträgern in den Moscheen, die nur drei Wörter Deutsch können. Wir stellen uns gut mit ihnen, und mit ihren Freunden genauso. Wir halten nach dem stillen Neuankömmling Ausschau, dem unsichtbaren Nomaden auf der Durchreise nach irgendwo, der von Haus zu Haus und von Moschee zu Moschee weitergereicht wird.
Wir durchforsten die totgesagten Akten von Herrn Arni Mohr und seinen tüchtigen Helfern drüben auf der anderen Hofseite, wir nehmen uns alte Fälle neu vor, die mit einem Paukenschlag begonnen haben und dann eingeschlafen sind, weil der Kandidat kalte Füße bekommen hat oder weil er in eine andere Stadt umgesiedelt wurde, wo die zuständige Außenstelle entweder zu dämlich war, um ihn richtig anzupacken, oder gar nicht erst den Ehrgeiz dazu hatte. Wir ignorieren die Proteste unserer Gastgeber und spüren diese ehemaligen Kandidaten auf. Wir fühlen ihnen noch mal auf den Zahn. Wir machen das Wetter.«
Eine letzte Mahnung gab er ihnen noch mit, auch sie geziemend subversiv.
»Und vergebt nicht, wir sind illegal. Wie illegal genau, kann ich euch nicht sagen, dazu müßte ich Jurist sein wie so viele unserer werten Kollegen. Aber nach allem, was ich höre, dürfen wir uns nicht mal den Hintern abwischen, ohne vorher die schriftliche Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts, des Heiligen Stuhls, der Zentrale in Berlin und unserer lieben Freunde vom BKA einzuholen, die keinen blassen Schimmer von Spionage haben, aber dafür sämtliche Befugnisse, die man uns Geheimdienstlern zu Recht vorenthält, damit wir nicht aus Versehen zur Gestapo mutieren. Und jetzt an die Arbeit. Ich brauch was zu trinken.«
* * *
Die Kneipe hieß Hampelmann und lag in einer kopfsteingepflasterten Gasse nahe dem Bahnhofsplatz. Über ihrem spärlich beleuchteten Eingang baumelte ein schmiedeeiserner Hampelmann mit Zipfelmütze, und zu ihren Gästen zählte heute, wie offenbar in den meisten Nächten, jener Gentleman, der bei Günther Bachmanns Truppe bisher der alte Fettsack geheißen hatte.
Der unspektakuläre Nachname dieses Herrn, wie sie mittlerweile wußten, war Müller, aber die anderen Stammtrinker im Hampelmann kannten ihn nur als den Admiral. Er hatte als U-Boot-Matrose in Hitlers Kriegsmarine im Eismeer gedient, was ihm zehn Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft eingetragen hatte. Karl, der geläuterte Dresdner Straßenjunge, war ihm auf die Spur gekommen und hielt nun, nachdem er per Handy seinen Namen und Aufenthaltsort durchgegeben hatte, von einem der Nebentische stumme Wacht über ihn. Dem stotternden Maximilian war es binnen Minuten gelungen, aus den Tiefen seines Computers Geburtsdatum, Lebenslauf sowie die Polizeiakte des Mannes herbeizuhexen. Und jetzt tappte Bachmann höchstselbst die verrauchte Backsteintreppe zur Kellerbar hinunter. Währenddessen schlüpfte Karl der Straßenjunge an ihm vorbei nach oben, hinaus in die Nacht. Es war drei Uhr morgens.
Im ersten Moment konnte Bachmann nur die Gäste ausmachen, die in unmittelbarer Nähe des Lichtscheins vom Eingang saßen. Dann erkannte er, daß auf jedem der Tische eine elektrische Kerze stand, und nach und nach sah er auch Gesichter darum. Zwei hagere Männer in schwarzem Anzug und Krawatte spielten Schach. Eine einsame Frau an der Bar wollte einen Drink von ihm spendiert bekommen. Ein andermal, danke, erwiderte Bachmann. In einer Nische spielten vier Jungen, alle nackt bis zur Taille, Billard; zwei Mädchen sahen ihnen mit leerem Blick dabei zu. Eine zweite Nische war mit ausgestopften Füchsen,
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