Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
silbernen Schilden und Miniaturflaggen vollgestellt, auf denen gekreuzte Flinten prangten. Und in einer dritten, umrahmt von Kriegsschiffen in verstaubten Vitrinen, Seemannsknoten, zerschlissenen Mützenbändern und fleckigen Photographien von jugendfrohen U-Boot-Matrosen, saßen drei sehr alte Männer um einen runden Tisch, der groß genug für zwölf gewesen wäre. Zwei waren gebrechliche Greislein, was dem dritten, der mit seiner glänzend-prallen Glatze und dem mächtigen Brustkorb und Bauch stattlicher war als seine beiden Gefährten zusammengenommen, ein Mehr an Autorität hätte verleihen müssen. Aber Autorität, das sah man auf den ersten Blick, war des Admirals Sache nicht. Seine riesigen reglosen Hände lagen vor ihm auf dem Tisch, leicht gekrümmt, als versuchten sie die Erinnerungen, von denen er heimgesucht wurde, zu greifen. Die kleinen Augen, die sich tief in seinen faltenlosen Schädel zurückgezogen hatten, schienen nach innen zu blicken.
    Mit einem wortlosen Nicken, das alle drei Männer einbezog, setzte sich Bachmann neben den Admiral und holte aus seiner Gesäßtasche ein schwarzes Mäppchen hervor, das sein Photo und die Adresse einer halboffiziellen – und gänzlich fiktiven -Vermißtenstelle mit Sitz in Kiel zeigte. Es war eine von mehreren Identitäten, mit denen er bei Bedarf operierte.
    »Wir suchen nach diesem armen russischen Jungen, den Sie neulich nachts am Bahnhof getroffen haben«, sagte er. »So ein ganz Würdevoller mit Scheitelkäppchen. Jung und groß und hungrig. Erinnern Sie sich?«
    Der Admiral erwachte so weit aus seinem Brüten, daß er seinen riesigen Kopf drehte und Bachmann musterte. Der Rest seines Körpers blieb starr.
    »Wer ist wir ?« wollte er schließlich wissen, nachdem er Bachmanns bescheidene Lederjacke in Augenschein genommen hatte, das Hemd, die Krawatte und die bieder-besorgte Miene, die – fast schon legitimerweise – sein Handwerkszeug war.
    »Der Junge ist in keiner guten Verfassung«, erklärte Bachmann. »Wir fürchten, er könnte sich was antun. Sich oder vielleicht auch anderen. Unsere Streetworker sind in großer Sorge um ihn. Sie wollen ihn finden, ehe etwas passiert. So jung er ist, er hat es schwer gehabt im Leben. Wie Sie«, fügte er hinzu.
    Der Admiral schien ihn nicht zu hören.
    »Sind Sie ’n Lude?« fragte er.
    Bachmann schüttelte den Kopf
    »Bulle?«
    »Wenn ich ihn finde, bevor die Bullen ihn finden, tue ich ihm einen Riesengefallen damit«, sagte er unter dem unverwandten Blick des Admirals. »Und Ihnen würde ich auch einen Gefallen tun«, fuhr er fort. »Hundert Euro in bar für alles, was Sie mir über den Jungen sagen können. Ich rück Ihnen auch garantiert nicht noch mal auf die Pelle.«
    Der Admiral hob eine seiner Pranken und zog sie sich nachdenklich über den Mund, worauf er sich, ohne seine stummen Tischgenossen eines Blickes zu würdigen, zu seiner vollen Größe aufrichtete und voranschritt in die nächste Nische, die leer war und fast völlig im Dunkeln lag.
    * * *
    Der Admiral aß manierlich, mit einem hohen Verschleiß an Papierservietten, damit die Finger schön sauber blieben, und reichlich Tabasco aus einem Fläschchen, das er in der Jackentasche bei sich trug. Bachmann hatte eine Flasche Wodka bestellt. Der Admiral erweiterte die Bestellung um Brot, saure Gurken, Wurst, Matjes und eine Platte Tilsiter. »Die haben mich geholt«, sagte er schließlich. »Wer?«
    »Die von der Bahnhofsmission. Da kennt den Admiral jeder.«
    »Wo waren Sie?«
    »In der Mission natürlich.«
    »Haben Sie schon geschlafen?«
    Der Admiral schmunzelte leicht, als wäre Schlafen etwas, womit andere Menschen sich aufhielten. »Ich kann Russisch. Eine Wasserratte aus dem Hamburger Hafen, aber Russisch kann ich besser als Deutsch. Wie kommt das, hm?«
    »Sibirien«, riet Bachmann, und der enorme Schädel wippte zustimmend.
    »Die in der Mission können kein Russisch. Aber der Admiral schon.« Er genehmigte sich einen gewaltigen Zug Wodka.
    »Doktor will er werden.«
    »Der Junge?«
    »Hier in Hamburg. Will die Menschheit retten. Vor wem? Vor der Menschheit, was sonst? Ein Tatar. Sagt er jedenfalls. Ein Muselmann. Von Allah selbst nach Hamburg geschickt, damit er studiert und die Menschheit rettet.«
    »Irgendwelche Gründe, warum Allah gerade ihn ausgesucht hat?«
    »Sühne für die armen Teufel, die sein Vater abgeschlachtet hat.«
    »Hat er gesagt, was für arme Teufel das waren?«
    »Die Russen bringen alles um, mein Freund. Priester,

Weitere Kostenlose Bücher