Marissa Blumenthal 01 - Virus
des Operationstisches herum, und ein Blick auf Dr. Tieman machte den erstaunten Gesichtsausdruck der Schwester verständlich: Tieman war ein Schwarzer. Wie blöde, dachte Marissa - sie war davon ausgegangen, daß alle Vorstandsmitglieder des »Ärztekomitees« ältere Herren, weiß und von rassistischen Vorurteilen geprägt waren.
Sie blieb eine Weile neben dem Monitor des Narkosegeräts stehen und verfolgte den Ablauf der Operation. Die Gebärmutter war bereits entfernt, und man begann mit dem Vernähen. Tieman war wirklich gut. Seine Hände bewegten sich mit jener besonderen Besonnenheit und Zielsicherheit, die man nicht lernen konnte. Sie waren ein Talent, eine Gabe Gottes, und nichts, was man durch noch so große Praxis erwerben konnte.
*
»Bring die verdammte Kiste in Gang«, sagte Al und legte den Hörer des Autotelefons auf. Sie hatten in Sichtweite eines breitgelagerten Redwood-Hauses geparkt, das sich an den Berghang über der Stadt Sausalito schmiegte. Durch die Eukalyptusbäume funkelte die Wasserfläche der Bucht von San Francisco herauf.
Jake ließ den Wagen an. »Wohin?« Keine Frage, Al war stocksauer, und wenn er sich in dieser Laune befand, war es besser, so wenig wie möglich zu reden.
»Zurück in die Stadt!«
»Was haben sie in Tiemans Praxis gesagt?« fragte vom Rücksitz her George.
Jake hätte George gern gesagt, daß er lieber den Mund halten solle, aber er traute sich seinerseits nicht, den Mund aufzumachen.
»Daß der Doktor zur Zeit mit Operationen im Allgemeinkrankenhaus von San Francisco beschäftigt ist«, gab Al Auskunft, nahezu weißglühend vor Wut. »Seine erste Operation war bereits auf sieben Uhr dreißig angesetzt, und er wird in der Praxis nicht vor drei Uhr nachmittags zurückerwartet.«
»Kein Wunder, daß wir ihn verpaßten«, sagte George angewidert. »Der Bursche muß sein Haus schon eine Stunde früher verlassen haben, als wir überhaupt ankamen. Welch eine Zeitverschwendung. Wir hätten wirklich statt dessen in ein Hotel gehen sollen, wie ich gesagt hatte.«
Wie ein Blitz fuhr Al auf dem Vordersitz herum und packte George an dessen pinkfarbener Diorkrawatte.
Georges Augen quollen heraus, und sein Kopf wurde knallrot. »Wenn ich deine Meinung hören will, frage ich danach. Ist das klar?«
Al ließ die Krawatte los und schubste George in seinen Sitz zurück. Jake zog sich, wie eine Schildkröte unter ihren Panzer, ängstlich in seine Sportjacke zurück und machte sich ganz klein. Er riskierte einen Blick in Als Richtung.
»Und was hast du zu glotzen?«
Jake sagte keinen Ton, und er hoffte, daß das, was gerade vorgegangen war, auch George davon überzeugt hatte, daß Schweigen im Augenblick das beste war.
Keiner sprach ein Wort, bis sie schon fast an der Brücke waren.
»Ich meine, wir sollten einen zweiten Wagen nehmen«, sagte dann Al, und seine Stimme war so ruhig, als ob es diesen Wutausbruch nie gegeben hätte. »Einfach für den Fall, daß wir Probleme kriegen und uns teilen müssen. Anschließend müssen wir in dieses Krankenhaus fahren. Je eher wir Tieman erwischen, desto besser!«
*
Da sie genug Zeit hatte und sicher sein konnte, Dr. Tieman wiederzuerkennen, nachdem sie ihn jetzt gesehen hatte, verließ Marissa den Operationssaal rasch, als gerade der Assistenzarzt auf sie zutreten wollte. Sie zog ihre Alltagskleidung an, denn sie wollte sofort weggehen können, sobald sie mit dem Mann gesprochen hatte. Sie kehrte in den Aufenthaltsraum zurück und fand dort einen unbesetzten Platz am Fenster. Einige der Anwesenden lächelten ihr zu, aber es sprach sie niemand an.
Eine halbe Stunde verging, ehe Dr. Tieman erschien. Er betrat den Raum mit der gleichen lässigen Eleganz, die auch für seinen Operationsstil typisch gewesen war.
Marissa ging hinüber in die Ecke, wo er sich gerade einen Kaffee eingoß.
Dank seines kurzärmeligen Anzugoberteils konnte Marissa die prächtige Muskulatur seiner Arme bewundern. Sie waren von einem satten Braun wie poliertes Walnußholz.
»Ich bin Dr. Marissa Blumenthal«, stellte sie sich vor und achtete scharf auf seine Reaktion.
Er hatte ein breites, männliches Gesicht mit einem gutgeschnittenen Schnurrbart und traurigen Augen, die wirkten, als ob sie mehr vom Leben gesehen hätten, als ihnen lieb war. Er blickte lächelnd auf Marissa herunter. Seine Miene verriet eindeutig, daß er keine Ahnung hatte, wer sie war.
»Kann ich Sie bitte einen Augenblick privat sprechen?« fragte Marissa.
Tieman warf
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