Marissa Blumenthal 01 - Virus
einen Blick auf seinen Assistenten, der gerade näher kam, und rief ihm zu: »Wir sehen uns später im OP!« Dann wandte er sich mit Marissa ab.
Er bat sie in eines der kleinen Diktatzimmer, in die vom Aufenthaltsraum Schwingtüren führten. Es stand nur ein Stuhl dort, und Dr. Tieman stellte ihn vor Marissa hin mit einer einladenden Geste, Platz zu nehmen. Er selbst lehnte sich an einen Schreibtisch, die Kaffeetasse in der rechten Hand.
Ihrer kleinen Statur und der daraus erwachsenden auch psychologischen Benachteiligung eindringlich bewußt, schob Marissa ihm den Stuhl hin und bestand darauf, daß er sich setze, denn er stehe ja bereits seit dem frühen Morgen am Operationstisch.
»Na gut, na gut«, sagte er mit einem kurzen Lachen. »Jetzt sitze ich - und was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin überrascht, daß Ihnen mein Name nichts sagt«, begann Marissa und achtete sorgsam auf seine Augen. Aber die blieben weiterhin fragend und freundlich.
»Es tut mir wirklich leid«, antwortete Dr. Tieman. Er lachte wieder, aber mit einer Spur von Verlegenheit. Er betrachtete aufmerksam Marissas Gesicht. »Wissen Sie, ich komme mit so vielen Leuten zusammen…«
»Hat Sie denn Dr. Krause nicht meinetwegen angerufen?« fragte Marissa.
»Ich bin nicht einmal sicher, ob ich einen Dr. Krause kenne«, meinte nun Dr. Tieman und wandte seine volle Aufmerksamkeit seinem Kaffee zu.
Die erste Lüge, dachte Marissa. Sie holte tief Luft und berichtete dem Arzt genau dasselbe, was sie Dr. Krause erzählt hatte. Von dem Augenblick an, als sie die Ebola-Ausbrüche erwähnte, hielt er die Augen niedergeschlagen. Es war klar, daß er nervös war. Die Oberfläche des Kaffees in seiner Tasse zitterte merklich, und Marissa war plötzlich froh, nicht seine nächste Patientin zu sein.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum Sie mir das alles erzählen«, sagte Dr. Tieman und wollte aufstehen. »Und leider muß ich mich um meinen nächsten Fall kümmern.«
Mit für sie ungewöhnlicher Forschheit drückte Marissa ihre Hand auf seine Brust und zwang ihn so, sitzen zu bleiben. »Ich bin noch nicht fertig«, sagte sie, »und ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht, Sie stecken in dieser Sache drin. Ich habe Beweise dafür, daß Ebola durch das PAC vorsätzlich verbreitet wurde. Sie sind dessen Schatzmeister, und ich bin entsetzt darüber, daß ein Mann von Ihrem Ruf sich an einer derartig schmutzigen Geschichte beteiligen konnte.«
»Sie stehen unter einem Schock«, entgegnete Dr. Tieman, der nun aufgestanden war und hoch über ihr aufragte. »Ich bin dennoch verblüfft, daß Sie die Nerven haben, derart unverantwortliche Behauptungen aufzustellen.«
»Sparen Sie sich das«, gab Marissa zurück. »Es ist schließlich öffentlich bekannt, daß Sie Vorstandsmitglied des ›Aktionskomitees der Vereinigung von Ärzten zur politischen Interessenvertretung‹ sind und außerdem Mitgesellschafter des einzigen Privatlabors in unserem Land, das für den Umgang mit Ebola-Viren ausgerüstet ist!«
»Ich kann nur hoffen, daß sie ausreichenden Versicherungsschutz haben«, antwortete Dr. Tieman mit lauter werdender Stimme. »Sie werden von meinem Anwalt hören!«
»Gut«, sagte Marissa und kümmerte sich nicht weiter um die Drohung. »Vielleicht kann er Sie davon überzeugen, daß es das beste für sie ist, mit den Behörden zusammenzuarbeiten.«
Sie trat einen Schritt zurück und blickte ihm offen ins Gesicht. »Nachdem ich Sie kennengelernt habe, kann ich einfach nicht glauben, daß Sie der Idee zugestimmt haben, bewußt eine tödliche Krankheit zu verbreiten. Es wird eine doppelte Tragödie für Sie sein, alles zu verlieren, wofür Sie gearbeitet haben, weil andere eine falsche Entscheidung getroffen haben. Denken Sie darüber nach, Dr. Tieman. Viel Zeit werden Sie dafür nicht mehr haben!«
Marissa fegte durch die Schwingtür hinaus und ließ einen fassungslosen Arzt zurück, der verzweifelt ans Telefon stürzte. Es fiel ihr ein, daß sie vergessen hatte, Tieman von ihrem Vorhaben zu unterrichten, auch die anderen Vorstandsmitglieder des PAC aufzusuchen, aber sie fand, daß das nicht so wichtig sei. Der Mann war verstört genug.
*
»Da ist sie!« schrie Al und schlug Jake auf die Schulter. Sie hatten gegenüber dem Haupteingang zum Allgemeinkrankenhaus von San Francisco geparkt. George stand in einem zweiten Wagen wartend hinter ihnen. Als sich Al nach ihm umwandte, machte George ihm mit aufwärts gerichteten Daumen ein Zeichen,
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