Mark Beamon 01 - Der Auftrag
Beamon rang für einen Moment vornübergebeugt nach Atem, bis der Schmerz in seiner Brust nachließ, dann ging er langsam weiter.
Er erreichte den ersten Stock. Beim Gang durch den Korridor fühlte er sich wie in einem ›Haus des Schreckens‹ auf einem billigen Jahrmarkt. Die Szenen hinter den offenen Türen schienen nur für ihn aufgeführt zu werden. Starre Leichen, Menschen in heftigen Zuckungen, weinende Kinder, dazwischen geschäftige Männer und Frauen in unterschiedlichen Uniformen – Feuerwehrleute, Sanitäter, Notärzte, Polizisten.
Schlagartig empfand er die ganze Last dieser Situation, und das Gefühl verstärkte noch den Schmerz in seiner Brust. Er entdeckte eine geschlossene Tür – die erste bislang –, auf die ein großes rotes X gesprüht worden war. Irgendwie passte es nicht zu den Graffiti an den Wänden, und er berührte es vorsichtig. Noch feucht.
Zwei weitere Feuerwehrmänner erschienen am Ende des Gangs und kamen auf ihn zugeeilt. Beamon sah, dass sich etwas unter dem weißen Laken auf der Trage bewegte. Er stemmte sich gegen die Tür, bis das Holz splitterte, und konnte gerade noch hineinschlüpfen, ehe sie ihn erreichten. Hastig schlug er die Tür zu.
Durch die dünnen Wände und das offene Fenster drangen immer noch Stimmen, aber er war dankbar, für einen Moment der wahnwitzigen Hektik entkommen zu sein.
Das einzige Licht kam von den Scheinwerfern unten vor dem Haus, die einen rechteckigen Strahl quer durch den Raum warfen. Staubflocken trieben in ihrem Licht, doch alles andere verbarg die Dunkelheit, und er nahm es nur nach und nach wahr.
Der Flur war nur ungefähr sechs Quadratmeter groß. Am anderen Ende war eine offene Küche. Geschirr stapelte sich im Waschbecken und auf den Arbeitsplatten, auf einem Resopaltisch stand eine Schachtel mit Frühstücksflocken und eine Schüssel. Im Wohnzimmer sah er ein Sofa und ein paar alte Stühle rings um einen hochmodernen Fernseher.
Auf dem Boden hinter dem Sofa entdeckte er eine Frau in einem geblümten Kleid. Sie lag auf der Seite, ihr Rücken war unnatürlich gekrümmt. Beamon ging langsam näher und betrachtete die Leiche. Ihre Augen starrten zu ihm auf.
Neben der Frau lag eine Crackpfeife aus Glas in einer Wasserpfütze. Wahrscheinlich stammte sie von den Feuerwehrleuten, die versucht hatten, die giftigen Dämpfe aus dem Gebäude zu treiben. Beamon schaute wieder auf die Frau. Ihr Gesicht schien ihn anzuklagen. Er ging in die Küche und kramte in den Schubladen. Es war schwer, in diesem Halbdunkel etwas zu erkennen, aber er wollte kein Licht einschalten. Die Frau auf dem Boden gehörte in die Dunkelheit.
Schließlich fand er, was er gesucht hatte – eine Schere. Er setzte sich an den Tisch und schob die Schale mit Frühstücksflocken zur Seite, zog eine Zigarette aus seiner Tasche, schnitt den Filter ab und entzündete sie mit einem billigen Plastikfeuerzeug. Tief sog er den Rauch in seine Lungen und genoss die dringend benötigte Dosis Nikotin.
Die Opferzahlen, die Laura ihm jeden Morgen auf den Schreibtisch legte, hatten ihn nie sonderlich berührt. Mit Zahlen konnte man umgehen. Sie konnten addiert, subtrahiert und multipliziert werden, aber sie konnten nicht bluten oder vor Schmerz schreien. Selbst die Fernsehberichte, die weitaus plastischer waren als Lauras Grafiken und Tabellen, waren nur Bilder. Kleine Pixel, die mit der Geschwindigkeit von Gedanken über einen elektronischen Schirm huschten.
Er nahm einen weiteren Zug von seiner gestutzten Zigarette und spürte die Augen der Frau in seinem Rücken.
Insgeheim hatte er sich manchmal gefragt, ob der CDFS nicht auf lange Sicht gesehen doch etwas Positives erreichte, aber in diesem Moment wurden solche Überlegungen belanglos, und alle Zweifel verschwanden. Sie töteten Menschen. Echte Menschen. Die Behauptung, dass durch einen Rückgang des Drogenkonsums Leben gerettet würden, und alle anderen Argumente für das CDFS erschienen ihm nur noch kalt und zynisch, als er auf die leblose Gestalt der Frau schaute.
Die Eingangstür der Wohnung wurde geöffnet, und Beamon winkte kurz. »FBI. Hier drin ist alles klar.«
»Mark?«
»Laura?«
Sie kam leise herein. In der Dunkelheit konnte er nur die Umrisse ihrer schlanken Gestalt erkennen und das ewig zurückgebundene Haar, als sie durch den Raum ging und sich neben ihn setzte. »Tom hat mir gesagt, dass Sie hier sind.« Sie griff nach seiner Hand. »Alles okay?«
Er schwieg und nahm einen tiefen Zug von seiner
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