Mark Beamon 01 - Der Auftrag
Zigarette.
»Ich dachte, Sie gestatten sich bei einem Fall keine persönlichen Empfindungen. Es zählen nur nackte Fakten. Haben Sie mir das nicht mal gesagt?«
Beamon deutete auf die tote Frau. »So aus der Nähe sind es keine nackten Fakten mehr.«
Laura stand auf, nahm eine Decke vom Sofa und breitete sie über der Leiche aus. Einen Moment lang verharrte sie schweigend und setzte sich dann wieder zu ihm.
»Wissen Sie, Laura, ich habe diesen Fall bloß angenommen, um mein Ego aufzupäppeln. Calahan hatte mich kaltgestellt, deshalb wollte ich ihm und der ganzen Welt zeigen, was ich doch für ein Teufelskerl bin. Tausende von Menschen sind tot, und ich habe nur an mich und meine gekränkte Eitelkeit gedacht.«
»Ach, Mark. Sie konnten doch nicht ahnen, dass dieser Fall derartige Ausmaße annehmen würde. Niemand konnte das.« Laura nahm die Zigarette aus seinem Mund und warf sie ins Waschbecken. »Man hat aus einem guten Grund Filter an diese Dinger gemacht, wissen Sie?«
»Ja, ich weiß.«
»Willst du wirklich mitkommen, Tony? Es macht mich richtig nervös, wenn du bei einer Lieferung dabei bist.«
Anthony DiPrizzio, der Kopf des DiPrizzio-Clans, nickte und strich seine Krawatte glatt. Ihm gefiel es auch nicht, aber die Zeiten hatten sich geändert. Das interventionsfreie Management, das seine Professoren in Wharton gepredigt hatten, bei dem man so viel wie möglich delegierte, war nicht länger angebracht. Nun hieß es, die Geschäfte persönlich in die Hand zu nehmen.
Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, und DiPrizzio saß mit Chris Panetti, einem alten und zuverlässigen Leibwächter, der schon für seinen Vater gearbeitet hatte, in dem kleinen Büro im zweiten Stock eines seiner vielen Lagerhäuser im Hafen von New York. Am anderen Ende des Raums saßen drei weitere Männer, die ebenfalls seit Jahren zu seinem Clan gehörten. Alle trugen ein Schulterhalfter um den kräftigen Oberkörper und verfolgten gebannt ein Footballspiel, das in einem winzigen Schwarzweißfernseher lief. DiPrizzio beobachtete das Spiel nur nebenbei. Er hatte nie verstanden, was daran so fesselnd war.
Endlich hörte man, wie unten im Lager das Tor geöffnet wurde. Die Männer am Fernseher standen auf und schalteten das Gerät ab. Panetti berührte das Halfter unter seinem Arm. »Ich kann dich wohl nicht überreden, von hier oben aus zuzusehen, Tony, oder?«
DiPrizzio schüttelte den Kopf, während er darauf lauschte, wie das Tor wieder geschlossen wurde. »Gehen wir.«
»Juan! Schön, Sie zu sehen.«
Der Mann, der vor dem rostigen Eiscreme-Lieferwagen stand, schaute ihm ein wenig beunruhigt entgegen. Seine beiden Begleiter schienen genauso überrascht.
»Mr. DiPrizzio … Was machen Sie denn hier?«
DiPrizzio ging auf sie zu und achtete darauf, nicht zu den Männern zu schauen, die sich wortlos rings um den Laster positionierten. »Ach, Sie wissen doch, wie es ist, Juan. Ab und an lässt man mich auch mal aus dem Büro raus.«
Juan gab keine Antwort und blieb wie angewurzelt stehen.
»Wollen Sie mir nicht zeigen, was Sie für uns haben?«
»Sicher, Mr. DiPrizzio, gewiss doch.«
Juan und seine Begleiter öffneten die Seitentür des Lasters und hoben mit einiger Mühe eine alte Holzkiste heraus, die aussah, als stamme sie aus Armeebeständen.
Juan nahm einen Schlüssel, der um seinen Hals hing, und schloss sie auf. Sie war bis obenhin gefüllt mit Kokain. Jeder Barren wog ein Kilo und war einzeln in Plastik verpackt.
DiPrizzio hatte inzwischen Handschuhe übergestreift. Er nahm einen Barren, schloss den Deckel und legte ihn auf die Kiste.
»Chris?«
Panetti reichte ihm ein Taschenmesser, mit dem er die Plastikhülle aufritzte.
»Es ist erstklassige Qualität, Mr. DiPrizzio«, versicherte Juan eifrig, »darauf haben Sie mein Wort.«
DiPrizzio musterte das herausquellende weiße Pulver. »Ich glaube es Ihnen gern, Juan, aber wissen Sie, was mir noch lieber wäre?«
Juan wurde sichtlich nervös, genauso wie seine Begleiter. Sie waren von nicht weniger als zwanzig Männern umringt.
»Nein, Mr. DiPrizzio. Aber wir tun alles, was Sie wollen.«
»Warum nehmen Sie dann nicht einfach eine kleine Kostprobe?«
Ein Ausdruck des Entsetzens huschte über das Gesicht des jungen Latinos.
»Würde ich gern, Mr. DiPrizzio, aber … wissen Sie, ich habe längst damit aufgehört. Ist mir nicht besonders bekommen.« Er tippte auf seine Nase, um zu verdeutlichen, was er meinte.
»Tun Sie es für mich, Juan. Nur dies eine
Weitere Kostenlose Bücher