Mark Brandis - Salomon 76 (Weltraumpartisanen) (German Edition)
überzeugt.
Vorsitzender : Mit anderen Worten – Sie beteiligten sich an dieser Abstimmung?
Minkowski : Ja.
Vorsitzender : Obwohl Sie wußten, daß mit dieser Abstimmung neues Recht geschaffen wurde?
Minkowski : Ich kann es nicht abstreiten. Aber das war nun einmal der Geist der Zeit. Ich weiß nicht, wie Sie es damals gehalten haben ...
Vorsitzender : Ich saß im Gefängnis!
Minkowski : In diesem Fall bitte ich um Entschuldigung, Sir.
Vorsitzender : Warum? Die Frage ist nicht unberechtigt. Ich stelle sie mir schließlich manchmal selbst – die Frage: Wie hätte ich mich verhalten, wenn ich nicht von Anfang an das Glück gehabt hätte, zu den Opfern zu gehören. Doch zurück zur Sache, Lieutenant! Wie ging diese sogenannte Volksabstimmung vor sich?
Minkowski : Mittels Hauscomputer. Diese waren zentral geschaltet und übertrugen ihre Impulse direkt zu SALOMON 76.
Vorsitzender : Mit welcher Wirkung?
Minkowski : Ich bin da auf Vermutungen angewiesen, Sir. Ich nehme an, die Impulse wurden dort oben in Licht verwandelt. Nur so ist es zu erklären, weshalb dieses Ding auf einmal zu strahlen anfing – wie irgend so ein Komet.
Vorsitzender : Der Grad seiner Helligkeit gab folglich Auskunft über die abgegebenen Ja-Stimmen?
Minkowski : So ist es.
Vorsitzender : Und wie hell hat SALOMON 76 geleuchtet?
Minkowski : Nun, ersah aus wie ein zweiter Mond – nur eben rot.
Vorsitzender : Und das gab den Ausschlag?
Minkowski : Das war der untrügliche Beweis. SALOMON 76 hatte die Massen auf seiner Seite.
Vorsitzender : Haben Sie selbst etwa auch mit Ja gestimmt?
Minkowski : Das habe ich.
Vorsitzender : Aus Überzeugung?
Minkowski : Das auch. Aber nicht nur. Sämtliche Impulse wurden von den Tochtercomputern registriert und ausgewertet. Ich wollte mir keinen Ärger einhandeln. Soviel ich weiß, sind dann auch alle Nein-Stimmer bald darauf verhaftet worden.
Vorsitzender : Danke. Ich denke, das genügt vorerst.
Mithin war, was ich gesehen hatte, keine Halluzination gewesen. Es war ein markantes historisches Ereignis. Daß ich nicht mehr davon mitbekam, erklärt sich mit dem Zustand, in dem ich mich nach Ruths Verhaftung befand.
Kapitel 10
Es war noch nicht wieder hell, als jener Anruf kam, der mir zu verstehen gab, daß der Wahnsinn auch vor mir nicht haltmachen würde.
Was bewog mich, ausgerechnet diesen Anruf entgegenzunehmen, nachdem ich zuvor alle anderen unbeachtet gelassen hatte?
Ich muß wohl, jeglicher Vernunft zum Trotz, gehofft haben, etwas über Ruth zu erfahren: wie es ihr ging, wo sie sich befand, wie sie es trug? Auf jeden Fall schaltete ich mich ein.
Auf dem Monitor erschien kein Bild. Anfangs hielt ich es für eine technische Störung, doch als ich vernahm, worum es ging, begriff ich, daß der Anrufer anonym bleiben wollte.
Die Stimme kam mir bekannt vor. Irgendwann, vor etlichen Jahren, hatte ich sie bereits einmal gehört – und dies wahrscheinlich unter glücklichen Umständen, denn ihr Klang weckte in mir keine bösen Erinnerungen.
»Commander Brandis, bitte stellen Sie keine Fragen, sondern glauben Sie mir einfach, daß ich die Wahrheit spreche. Sie sind in Gefahr.«
Eben dies, was der Anrufer verlangte, fiel mir schwer: zu glauben, ohne der Mitteilung auf den Grund zu gehen.
Vielleicht, so mag man mir vorhalten, hätte ich zu diesem Zeitpunkt bereits so etwas wie eine Antenne für die Zeichen der Zeit entwickelt haben müssen. Aber wer so argumentiert, gibt lediglich zu, daß er sich nie in einer zwiespältigen Situation befunden hat. Der normale Mensch mißt letztlich die Welt, in der er lebt, an sich selbst. Der Wahnsinn, der gelegentlich hier und da in der Tat eines anderen Menschen an den Tag tritt, erscheint ihm als eine verhängnisvolle Ausnahme von der Regel, und er verläßt sich darauf, daß Ärzte, Polizisten und Wissenschaftler bereitstehen, um ohne langes Zögern die erkannten Krankheitsherde am Leib der Gesellschaft zu isolieren und zu bekämpfen. Der normale Mensch wiegt sich in Sicherheit; er wähnt sich beschützt und behütet.
Wie aber, wenn der Wahnsinn nicht länger die Ausnahme ist, sondern unversehens zum herrschenden Prinzip gerät? Der normale Mensch, geprägt von seiner Erfahrung, neigt dazu, eine solche Entwicklung erst dann zu erkennen, wenn es für wirksame Gegenmaßnahmen zu spät ist.
Dafür, daß es so ist, gibt es Beispiele genug in der Geschichte. Besonders das 20. Jahrhundert ist reich an solchen Phänomenen – denn: was ist Diktatur letztlich
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