Mark Brandis - Salomon 76 (Weltraumpartisanen) (German Edition)
Brandis gehörten schon der Vergangenheit an. Fortan würde es nur noch den rechtlosen Flüchtling geben, den einsamen Kämpfer im Untergrund – für die Öffentlichkeit den gejagten Verbrecher, den geächteten Desperado außerhalb des Gesetzes.
Der Abschied währte nicht lange.
Ich straffte mich und schickte mich an, an Bord zu gehen.
Ich kam nicht weit. Der Außenlautsprecher des Schiffes dröhnte auf einmal auf.
Ich erkannte Captain Romens Stimme: »Sir, bringen Sie sich in Sicherheit!«
Nie in meinem Leben hatte ich mich so gründlich, so verhängnisvoll geirrt. Das Maß, mit dem ich meine Verfolger maß, war immer noch das alte, gewohnte – jenes aus Erfahrungen gefügte Maß, das in den Gendarmen unzulängliche Menschen sah.
Ihnen hätte ich möglicherweise entkommen können, doch einem SALOMON 76 entkam man nicht so ohne weiteres. Er hatte die Fahndung nach mir selbst in die Hand genommen – und mit untrüglicher Intelligenz den Schritt, den zu tun ich im Begriff stand, vorausgeahnt.
Die Gendarmen waren bereits an Bord. Captain Romens Warnung kam zu spät.
Mit vorgehaltener Waffe erschienen zwei Polizisten in der Schleuse, gefolgt von einem Kriminalbeamten im üblichen grauen Zivil. »Commander Brandis, auf Befehl von SALOMON 76 erkläre ich Sie für verhaftet! Leisten Sie keinen Widerstand! Es wäre zwecklos.«
Die Falle war geschickt aufgebaut worden; nun schnappte sie zu. Meine Flucht, kaum begonnen, war bereits beendet.
Ich hatte nicht mit Lieutenant Stroganow gerechnet, nicht damit, daß er sich nun, in diesem Augenblick, auf eine höchst spontane Art mit mir verbünden würde.
Auf einmal stand er hinter den beiden Polizisten und umklammerte sie mit seinen mächtigen Armen. »Sir«, schrie er, »hauen Sie ab!«
Mit diesem Beweis seiner Treue und Ergebenheit gab er mir eine letzte Chance.
Daß er sich damit selbst in Schwierigkeiten brachte, schien ihn nicht zu kümmern. In seinen Adern floß das Blut sibirischer Verbannter, das Blut von Leuten, die stets auf der Seite des Verfolgten gestanden hatten.
Ich wirbelte herum – bereit, zum zweiten Mal an diesem Tag um mein Leben und um meine Freiheit zu laufen.
Es war vergebens.
Weder Captain Romens noch Lieutenant Stroganows Mut und Treue vermochten mich zu retten. Aus der Falle führte kein Weg hinaus.
Hinter den Gerüsten hervor brach ein halbes Dutzend Polizeitransporter. Innerhalb weniger Sekunden war ich eingekreist.
»Stehenbleiben, Commander! Stehenbleiben – oder wir schießen!«
Ich hielt an und hob die Hände.
Niemand, der dieses chaotische Jahr 2067 nicht selbst miterlebt hat, wird je nachempfinden können, was in dieser Minute in mir vorging. Immer wieder werde ich von jungen Menschen gefragt: Warum haben sich damals Hunderttausende von Menschen verhaften, abführen und verurteilen lassen, ohne sich dagegen aufzulehnen?
Die Antwort ist nicht einmal kompliziert. Man mag meinen Fall zum Beispiel nehmen.
Subjektiv gesehen, war ich unschuldig, das heißt ich verfügte als ein Mensch, der sich in keiner Weise gegen das geltende Recht vergangen hatte, über ein gutes und sauberes Gewissen.
Objektiv gesehen, machte mich diese Verhaftung bereits zu einem ertappten und überführten Verbrecher. Mochte es hier und da gleich Captain Romen und mir einige einsame Zweifler geben – in den Augen der Massen bekam ich lediglich zudiktiert, was ich verdiente.
Eine solche Erkenntnis ist lähmend – speziell für einen Menschen, dem die Achtung vor dem Gesetz Leitfaden seines Lebens war.
Es ist leicht zu rebellieren, wenn man von der Gunst der Masse und der Stunde getragen wird; dann vermag man sogar mit einem Schrei des Triumphes auf den Lippen für seine Wahrheit zu sterben. Von Gleichgültigkeit und Unverständnis umgeben, endet das heißeste Aufbegehren in Resignation.
Als die Polizisten mir Handschellen anlegten, gab ich mich verloren.
Ich war so tief erschüttert, dem Gefühl der Schande so ausgeliefert, daß ich zu keinem Widerstand mehr fähig war – selbst wenn sich dazu eine Gelegenheit geboten hätte.
Später erfuhr ich, daß es vielen anderen, die zu den Opfern des Jahres der Computer zählten, ebenso ergangen war. Sie fügten sich in ihr Los, weil die Verhaftung in ihnen Zweifel an sich selbst wachrief.
Nur so ist es zu erklären, daß ich – ein Mensch immerhin, der im Bürgerkrieg und auf zahlreichen Expeditionen seinen Mann gestanden hat –, statt mich zu wehren, statt lautstark zu protestieren, mich auf das
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