Mark Brandis - Unternehmen Delphin (Weltraumpartisanen) (German Edition)
Gewirr von überschallschnellen U-Bahnen und jagenden Förderbändern.
»Und bei Ihnen?« fragte Brandis abrupt.
»Bei uns?« My-Lang ließ die Frage nachklingen. »Warten Sie, bis Sie mit dem Minister gesprochen haben. Und bitte, lassen Sie sich durch das, was Sie erlebt haben, nicht zu einem vorschnellen Urteil verleiten!«
Brandis wandte sich ihr zu. »Wer«, fragte er, »hat den Minister informiert?«
In den dunklen Augen der Majorin leuchtete ein Lächeln. »Ein Freund, den Sie sich in den VOR schon gemacht haben. Ein koreanischer Leutnant. Er hat sich nicht abweisen lassen.«
Brandis schwieg. Den koreanischen Leutnant hatte er fast vergessen, vielleicht, weil er von Anfang an nur wenig Hoffnung in ihn gesetzt hatte. In diesen Menschen sich auszukennen, war schwer. Ihm fehlte die Erfahrung. Der Wagen bog, ohne langsamer zu werden, durch eine bewachte Toreinfahrt in einen blühenden Kirschgarten ein. Über den Bäumen, fern im Hintergrund, schwebten pagodenartige Dächer.
»Die Verbotene Stadt , wie wir sie noch immer nennen«, sagte My-Lang. »Im vergangenen Jahr hat Tschou Fang-Wu das Verteidigungsministerium hierher zurückverlegt. Moderne Zweckbauten, sagt er, stimmten ihn aggressiv. Darin, so meint er, könnte allenfalls ein Kriegsminister residieren, und ein solcher will er nicht sein. Er braucht für seine Entschlüsse den Frieden und die Stille seiner Gärten. Außerdem liebt er den Gesang der Nachtigallen.«
Erneut gab Brandis keine Antwort. Nichts in diesem Land war so, wie er sich das vorgestellt hatte. Alles war anders, verschwimmender, unfaßbarer. Alexander Repin fiel ihm ein, der entmachtete Vorsitzende des Rats für innere und äußere Sicherheit der Republik Venus: Klar, nüchtern, nervös, ein Mann der Tat und der blitzschnellen Entscheidungen. Und nun dies: ein Verteidigungsminister, Herr über die zweitgrößte Militärmacht der Welt, der sich am Gesang der Nachtigallen erbaute!
»Tschou Fang-Wu«, sagte My-Lang neben ihm, »ist zugleich einer der berühmtesten Dichter unseres Landes. Er hat die alte chinesische Dichtkunst wieder zum Leben erweckt. Man sagt, er sei der bedeutendste Lyriker seit Li-Tai-Pe.«
Welch ein sonderbares Land , dachte Brandis. Ob ich es je verstehen werde? Diese Frage beschäftigte ihn bis zuletzt. Im Palast des Ministers drückte ihm die Majorin noch einmal die Hand, danach blieb er sich selbst überlassen, eingehüllt in Rosenduft, bis sich, von einem Gongschlag angekündigt, die schweren Türen öffneten.
Brandis hatte sich den Minister vorgestellt als einen alten, gebeugten Mann mit schütterem weißen Bart – einen jener Bilderbuchchinesen, die man noch immer malte. Tschou Fang-Wu war ein Mann seines Alters: groß, mit sparsamen Bewegungen und wachsamen, klugen Augen. Er trug das gelbe Gewand eines Mandarins.
»Es tut mir leid, Commander«, sagte Tschou Fang-Wu, »daß ich von Ihrem Eintreffen erst auf Umwegen erfahren mußte. Es wird sich nicht wiederholen. Im Namen der Vereinigten Orientalischen Republiken bitte ich Sie um Entschuldigung. Ich werde diesen Vorfall zum Anlaß nehmen, um die Befugnisse der Sicherheitspolizei neu zu ordnen.« Tschou Fang-Wu machte eine einladende Bewegung mit der Hand. »Bitte, Commander, nehmen Sie Platz! Und danach wollen wir zur Sache kommen. Ich habe in der Erwartung Ihres Kommens die von Ihnen erbeuteten Dokumente studiert. Die Zeitnot, in der wir uns befinden, zwingt mich zu meinem Bedauern, die notwendigen Höflichkeiten einzuschränken.«
Brandis setzte sich in einen Sessel. Mehr denn je spürte er die Nässe seiner Kleidung. »Ich bin zu jeder gewünschten Auskunft bereit, Exzellenz«, sagte er.
»Vergegenwärtigen wir uns die Sachlage«, sagte Tschou Fang-Wu, der auf den Beinen geblieben war. »Der Angriff auf die VOR beginnt in genau 208 Stunden. Die erste Phase wird aus einem künstlichen, ferngesteuerten Orkan bestehen, der unser Land mit Nervengas überziehen soll.«
Brandis neigte zustimmend den Kopf.
Tschou Fang-Wu zeigte ihm die leeren Handflächen. »Es gibt keine Möglichkeit, ein Land wie die VOR in einhundertundvierundsechzig Stunden zu evakuieren. Ich nehme an, Sie stimmen mit mir darin überein?«
»Ja«, sagte Brandis. »Daran habe ich auch keinen Augenblick lang gedacht.«
Tschou Fang-Wu trat ans Fenster und blickte nachdenklich hinaus. »Es ist mein Land, Commander«, sagte er. »Bisher habe ich alles, was in meiner Macht stand getan, um es aus einem Konflikt herauszuhalten – und das,
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