Mark Bredemeyer
Scheibe Holz gesägt und die Kanten hinterher mit Schmirgelpapier geglättet.
Ich schüttelte das Gefäß erneut und etliche weitere der Holzplättchen fielen heraus. Insgesamt gab es mehr als ein Dutzend davon in dieser Amphore. Sie alle trugen diese merkwürdigen Ritzungen auf einer Seite. Eines sah aus wie ein R , ein anderes wie ein X , ein drittes wie ein M . Wieder andere erkannte ich gar nicht, denn die Zeichen sahen fremd aus.
Ich hatte keine Vorstellung, was dies sein sollte. Vielleicht Amulette? Anhänger einer Halskette? Oder irgendein altertümliches Kinderspiel?
Dann hatte ich eine Idee und versuchte, eines der Holzplättchen in eine der Mulden der Scheibe einzupassen.
Passte genau! Als ob die Mulden dafür gemacht worden wären! Gut – offenbar gehörten die Scheibe und diese Amulette zusammen! Und was jetzt? Sollte ich die Polizei über den Fund verständigen? Nein, das war lächerlich! Wahrscheinlich war dies bloß ein Kinderspielzeug aus dem vorletzten Jahrhundert. Doch warum hier? Und wieso hatte jemand vor nicht allzu langer Zeit offenbar genau an dieser Stelle gegraben? Waren diese Sachen dann erst dort hineingekommen oder hatten sie immer schon da gelegen? Ich hatte keine Ahnung. Ich beschloss, vorerst nichts zu tun. Die Grabung war zwar spannend gewesen, aber nun musste es auch gut sein. Ich würde in den nächsten Tagen sehen, was ich mit meinem Fund anfangen konnte. Vielleicht mit in die Uni nehmen und einem Professor zeigen? Ja, das würde das Beste sein …
Ich sah auf die Uhr. Schon nach vier! Und ich hatte noch keine einzige Zeile für meine Werkstoffkundearbeit geschrieben! Verdammt! Und in wenigen Stunden würde Julia kommen!
Ich zog mir die verschwitzten, dreckigen Klamotten aus und wusch mich. Dann kümmerte ich mich wieder um die wirklich wichtigen Dinge im Leben …
Die Stunden verstrichen und bald schon fing es draußen an zu dämmern. Erneut blickte ich auf die Uhr. Gleich halb acht! Julia würde in Kürze hier sein! Ich speicherte eilig meinen Zwischenstand im Computer ab und versuchte, noch ein wenig Ordnung ins Chaos des Wohnzimmers zu bringen. Die Scheibe, die Amphore und die Holzamulette schob ich zusammen und machte Platz auf dem Sofa. Ansonsten würde Julia ein ziemliches Problem haben, einen Sitzplatz bei mir zu finden.
Kurz nach halb acht klingelte es dann und Bruno jagte wie von der Tarantel gestochen zur Haustür. Meine Freundin Julia stand im Dunkeln davor, denn natürlich hatte ich vergessen, das Außenlicht einzuschalten.
Hastig machte ich Licht und öffnete. Wie üblich quetschte sich Bruno rücksichtslos zwischen mir und der Wand hindurch, um den Besucher willkommen zu heißen.
»Hi, Julia!«, sagte ich und versuchte, meinen Hund am Halsband zu erwischen, was aber aussichtslos war.
Julia freute sich mindestens genauso über ihn, wie der über sie – und so überließ ich die beiden für einen Moment ihrem Glück. Sie schaute kurz hoch und bekam gerade noch ein vorwurfsvolles »Na, ihr beiden Süßen?! Kannst du nicht mal das Licht für mich einschalten?« heraus, bevor eine erneute Freudenattacke Brunos sie nach hinten taumeln ließ. Insgeheim dankte ich ihm für die Ablenkung von meiner Ignoranz.
Nachdem dem Begrüßungszeremoniell für Hunde Genüge getan war, bekam ich einen knappen Kuss auf den Mund und eine kurze Umarmung. Und im nächsten Moment war Julia schon an mir vorbeigeschlüpft.
»Sag mal, hast du schon wieder deine Heizung ausgestellt? Hier ist es ja eisig drin!«, stellte sie sogleich weiter fest, während sie ihre Jacke und den Schal auszog.
»Das liegt daran, dass die Haustür offen war«, versuchte ich mich herauszureden. Allerdings war dieses Unterfangen zwecklos, denn Julia ging bereits mit großen Schritten direkt ins Wohnzimmer und prüfte die Heizkörper.
Missbilligend sah sie mich an. »Du musst dir noch schnell eine Unterkühlung einfangen, bevor der Winter ganz zu Ende ist, oder?«
»Ich wollte gerade den Kamin anstellen. Du weißt doch, dass ich Heizkosten sparen muss.«
In der Tat hatte ich es fast den gesamten Winter über geschafft, die Heizung auszulassen. Ich hatte einen großen Holzvorrat und der offene Kamin schaffte eine durchdringende, behagliche Wärme – wenn man ihn denn anfeuerte. Julia hatte ich bisher aber noch nicht von meinen Sparerfolgen überzeugen können.
»Heute war es tagsüber so warm, da brauchte ich nicht zu heizen. Aber ich gebe zu, jetzt ist es wirklich ein wenig kühl hier …« Um meine
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