Mark Bredemeyer
gekostet, für meine Nerven war die gefühlte Zeit aber deutlich länger gewesen. Doch augenblicklich überkam mich euphorische Zuversicht. Ich hatte einen Plan gehabt und alles war so aufgegangen, wie ich wollte! Wenn es so weiterging, würde auch die Befreiung Frilikes gelingen!
Also los jetzt! Auf zum Tor! Dieses »Osttor« war in Wahrheit sowieso nicht mehr als eine größere, massive Tür, gesichert durch einen schweren, etwa zwei Meter langen Querbalken.
Ich hob diesen ächzend aus seiner Aufhängung und legte ihn unter leisem Stöhnen in den weichen Sand. Mit einem gedämpften Knarren aus den Scharnieren öffnete sich das Tor. Mein immer noch rasendes Herz beruhigte sich langsam und ich schritt hindurch.
Geschafft! Ich war wieder frei!
Vor mir erstreckte sich die dunkle Wiesenlandschaft, so weit das Auge reichte. Doch wo war jetzt mein Pferd? Einen Pfiff konnte ich selbstverständlich nicht ausstoßen. Sollte ich vielleicht meine Taschenlampe einsetzen und nach dem Pferd suchen? Natürlich nicht, die Wachmannschaft des Südtores würde unweigerlich auf mich aufmerksam werden. Also musste ich im Dunkeln suchen. Doch wo?
Ich hatte in den letzten Monaten gelernt, dass Pferde sich nur in einer sicheren Gemeinschaft und Umgebung zum Schlafen hinlegten. Ganz allein auf sich gestellt, würde es maximal dösend im Stehen verbringen. Und dies auch nicht unbedingt mitten auf einer Wiese, weithin für mögliche Feinde sichtbar, sondern im Schutz einer Böschung!
Mein Blick schweifte über den diffus im Mondlicht liegenden Horizont. Im Süden zeichneten sich die dunklen Wipfel der hohen Bäume gegen den Himmel ab. Im Osten und Norden erstreckte sich nur weite, baumleere Landschaft. Ja, dort hinten musste ich mein Pferd suchen! Wenn es hier noch irgendwo war, dann sicher an der Grenze von Bäumen und Wiesen.
Mit der linken Hand griff ich auf meinen Rücken, um das Gewehr beim Laufen festzuhalten. Anschließend rannten Dyr und ich den schmalen Weg entlang, der den Durchgang zwischen Gräben und Wällen der Außenbefestigungsanlagen ermöglichte, und waren nun endgültig aus dem Lagerbereich heraus. So schnell ich konnte eilte ich auf das vor mir liegende kleine Wäldchen zu. Ich schaute nach rechts auf die beiden Wachtürme, die sich in einigen Hundert Metern Entfernung über die Lagermauern erhoben. Zum Glück war die Nacht wolkenverhangen, denn der Mond schien sehr hell. Aber ich war weit genug von den Augen eines Wachpostens entfernt, um nicht auf einer dunklen Wiese entdeckt zu werden. Geduckt rannte ich, so schnell es eben ging – musste dabei jedoch immer wieder verdammt aufpassen, nicht mit einem Fuß auf dem unebenen Boden umzuknicken.
Weiter vorne auf der linken Seite erkannte ich bereits einen hellen Punkt, der sich schwach gegen den dunklen Hintergrund abzeichnete und bewegungslos verharrte. Konnte das mein Pferd sein? Die Götter meinten es heute Nacht wahrlich gut mit mir! Das Lager lag schon ein gutes Stück hinter mir, sodass einige laut ausgesprochene Worte nicht mehr auffallen würden.
»He, ruhig! Ich bin es!«, rief ich, als ich näher herankam.
Der Umriss meines Pferdes war nun deutlich zu erkennen. Es scharrte nervös mit den Hufen, bereit, bei drohender Gefahr zu fliehen. Doch es erkannte Dyr und mich und blieb stehen. Als ich es erreichte, streichelte ich es beruhigend am Hals und sprach leise Worte in sein Ohr. Dann führte ich es einige Schritte weiter, schwang mich auf den Rücken und machte mich schleunigst auf den Weg nach Süden. Ich musste bis zum Morgengrauen in die unmittelbare Nähe der Hegirowisa gelangt sein, sodass ich in der darauffolgenden Nacht meine Rettungsaktion würde durchführen können. Natürlich musste ich außerdem unentdeckt bleiben – und zwar einen ganzen Tag lang. Es würde nicht einfach werden, doch immerhin war ich jetzt wieder frei und hatte ein Pferd, einen Hund und ein Gewehr. Das war mehr, als manch anderer hatte!
Die Befreiung
Der beginnende Morgen tauchte die großzügige Unterkunft Bliksmanis in gräuliches, diffuses Licht. Seine innere Uhr weckte ihn stets früh, das hatten die Jahre des Bundeswehrdienstes ihm als lebenslange Hypothek hinterlassen. Er hatte die Augen noch geschlossen und dachte weiter über das gestrige Treffen mit Leon nach. Der Junge würde seine Vorgehensweise schon verstehen, Zeit heilte alle Wunden. Dessen war er sich sicher. Irgendwann würde er ihm dankbar dafür sein, dass er ihn vor dieser Riesendummheit bewahrt hatte.
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