Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
für den Beruf: Eva. Die zweite ist geprägt von Erotik und Spiritualität: Myriam. Die dritte schlägt als Überraschung ein und ist das Geheimnis meiner Zwanzigerjahre: ein Mann! Ich hatte ihn kurz zuvor in Berlin kennengelernt.
Die Vaterliebe jedoch ist rein und so sicher wie ein Hafen. „Weißt du was? Wir machen in den nächsten Jahren eine ausgiebige Polen-Reise.“ Vater ist sehr begeisterungsfähig, ich auch. „Au ja! Ich möchte wissen, wo unsere Vorfahren herkommen! Und alles über Polen erfahren!“ Der polnische Papst war auch Schauspieler, bevor er das Priesterseminar besuchte. Ich bin übrigens kein diplomierter Schauspieler, die „Deutsche Paritätische Abschlussprüfung“ habe ich mir nicht gegönnt, weil ich Angst hatte, zu versagen. Mein „Salzburger Musical-Workshop-Diplom“ steht im Lebenslauf, das macht wenigstens Eindruck. Aber das ist es nicht, das ist nicht mein kleines Geheimnis, das ich damals vor meinem Vater verberge. Doch als er plötzlich in Dinkelsbühl ist, sitze ich gerade komplett zwischen den Stühlen. Ich habe innerhalb weniger Tage gelernt, meine Schmetterlinge im Bauch zu unterdrücken und niemanden merken zu lassen, dass ich in einen älteren Mann verknallt bin. Seines Zeichens ist er Schriftsteller. Er hatte mich vor einigen Tagen in Dinkelsbühl besucht. Kurz bevor Vater eintrifft, ist er wieder abgereist – nicht ohne vorher mein Herz gefesselt zu haben, besser kann ich es nicht beschreiben. Die Umbauaktionen in der Pfarrhauswohnung kamen mir daher äußerst gelegen. Eine perfekte Ablenkung! Auch die Aussicht, mit Vater in den nächsten Jahren die polnischen Wälder zu durchforsten, war vielleicht die einzige Alternative zu einem Leben als bisexueller Außenseiter. Ich mache mir selbst diesbezüglich gewaltigen Druck. Wir schreiben wohlgemerkt das Jahr 1987!
Zusammen mit Vater fühle ich mich sicher. Ich nehme etwas mit aus unserer gemeinsamen Pfarrhauszeit. Ich habe bis heute die Angewohnheit, Wohnungen nicht einfach abzuwohnen, auch wenn sie mir gar nicht gehören. Immer bleibt in den Wohnungen etwas für die „Ewigkeit“. Im fränkischen Pfarrhäuschen hängt zum Beispiel noch heute die praktische Küchenabtrennung. Sie ist einfach eine großartige Lösung, wenn auch nur provisorisch. Und sie steht damit symbolisch für die Aufwertung meines Selbst, das mir oft als nicht gut genug erscheint. Ich kann mich eine halbe Ewigkeit nicht mit meiner Unvollkommenheit abfinden. Irgendwie mag ich das aber an mir.
Mein fleißiger Einsatz am Akkordeon macht meinen Vater glücklich. Er ist begeistert von meinem fröhlichen Seemann, den ich im Kinderstück spiele. Harmonie ist eines seiner großen Themen, ich habe das lange Zeit nicht bewusst wahrgenommen. Als ich ihn später auf alten Filmaufnahmen wiedersehe, entdecke ich etwas Verborgenes, etwas, das mit den Geheimnissen in meinem eigenen Leben zu tun hat.
„Guck mal, da ist Vater als Dozent mit den jungen Musikern. Filmt er sich da gerade selbst?“ Ich sitze vor meinem Computer, schaue die knapp 25 Jahre alten Filme an und fange an zu zittern. Ich habe mich immer davor gedrückt, dieses Filmmaterial zu sichten. „Will er diese Momente festhalten, und was will er sich damit beweisen?“ Die Intensität der Szenen, die ich sehe, kommt mir transzendent vor. Und ich realisiere plötzlich, dass es sein letzter Sommer ist, den ich mir da gerade anschaue. Ich bin bei meinen Recherchen in der Zeitachse vier Jahre nach vorne gesprungen. Nur vier Jahre, in denen sich mein Traum von den Reisen mit meinem Vater und der Nähe zu ihm fast vollständig in Luft aufgelöst hat. Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist geblieben. Nur wo? „Guck doch mal hin! Vater versucht, in die Musik regelrecht einzutauchen. Genieß doch einfach diesen Moment! Gleich kommt die schwierige Pianissimostelle, bei der die japanische Studentin viel zu angestrengt auf ihrem Cello spielt. Er hilft ihr, das Problem zu lösen. Er insistiert und ...“ Ich rede mit mir selbst. Und ich erinnere mich plötzlich an eine Probe mit Herbert von Karajan und dem Orchester, die ich kürzlich bei YouTube gefunden habe. „Nein, meine Herren! So geht das nicht! Spüren Sie das nicht? Das sind zwei völlig unterschiedliche Qualitäten, wenn Sie eine Phrase nur wiederholen, anstatt darauf zu antworten, was die Flöten spielen. Treten Sie in einen musikalischen Dialog mit den Flöten! Noch einmal, meine Herren!“
Ich spule das Video mit der japanischen Studentin zurück.
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