Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
„Vater tänzelt vorsichtig mit dem Rücken zur Kamera. Er scheint glücklich zu sein. Kein Stress ist zu spüren. „Los, Papi. Spiel es ihr vor. Nimm dir das Cello und leg los!“ Tatsächlich! Zunächst singt er ihr die schwierige Stelle vor, wenig später sitzt er mit dem Cello da, und ich höre seinen unverwechselbaren Ton. Immer knapp bis an die Himmelspforte. Die hohen Töne dehnen sich bis zur Zerreißprobe, doch sie halten. Er hat diese Töne immer und immer wieder geübt. Seit ich denken kann, ist mir seine Ausdauer dabei aufgefallen. „Papi ist im Wohnzimmer, du kannst da jetzt nicht rein!“ Meinen Schulranzen noch auf dem Rücken, verharre ich wie angewurzelt. Und dann geht sie los, Vaters Musik.
Disharmonie ist der Horror für ihn, sowohl im Orchester als auch zu Hause. Horror hat eine andere Bedeutung als Drama. Horror zückt die Säbel. Meine Mutter schirmt ihn, so gut sie kann, ab. Und sein bester Freund im Orchester, Peter, beruhigt ihn immer wieder. „Heinrich, nimm dir nicht alles so zu Herzen!“ Peter war ein wunderschöner Mann, nebenbei bemerkt, der schönste und fröhlichste Mann im ganzen Orchester.
Vater reagierte in seinem Leben oft persönlich betroffen, ohne eigentlich gemeint zu sein. Er hörte schwer, das machte ihn bisweilen misstrauisch. Ich kenne das, mit meinen Ohren geht es auch bergab. Manchmal höre ich auch einfach gar nicht richtig zu, wenn jemand etwas sagt. Besonders meine geliebte Frau Barbara bekommt diese Charakterschwäche zu spüren. Es ist unfair von mir. Sie ist der große Anker in meinem Leben. Ich könnte mir etwas Mühe geben.
„Ich werde mich hüten, meinen Eltern von uns zu erzählen!“ Mein Freund hat lange schwarze Haare, Augen wie Tornados und ein Verstand, der mich manchmal Schachmatt setzt. Er hasst Unterdrückung, bekämpft Unrecht, wo er kann, und lässt sich niemals den Mund verbieten. Daher hat er wenig Freunde, dafür gute. Er verhält sich sehr offensiv – das bekommt auch mein Umfeld zu spüren – und besteht darauf, meine Eltern und Großeltern kennenzulernen. Was hat sich meine Familie wohl gedacht? Ich bin damals ratlos. Alle aus meiner Familie mögen und schätzen ihn. Eines Tages liest er mir einen sehnlichen Wunsch von den Augen ab und steht mit dem Irish-Setter-Welpen „Xanto“ vor meiner Tür. Ab jetzt bin ich viel in der freien Natur unterwegs. Hunde müssen an die frische Luft. Meine Mutter schüttelt wieder den Kopf. „Junge, du hast so viel Zeit mit den Hunden verbracht. Wäre es nicht klüger gewesen, sich zu bewerben?“ Richtig! Einiges Berufliche habe ich in der Tat verpasst. Zum Beispiel stand Synchronsprechen noch auf meiner Themenliste. Ging nicht. Keine Zeit, zu viel Auslauf im Freien. Und ich bin mir sicher, ich wäre heute nicht mehr am Leben, wenn ich nicht die Hunde an meiner Seite gehabt hätte. Lumpi, Xanto und Geunerle, ich danke euch!
Ich ziehe zeitweilig zu ihm und verbreite die Halbwahrheit, dass ich als Sekretär für ihn arbeite. Ich bin fasziniert von diesem Mann! Ich lerne. Doch mein charakterliches Wachstum verzögert sich, die Welt meines Freundes überfordert mich. Alles ist eine Nummer zu groß. Meine Kindheit ist vorbei. Oftmals renne ich einfach weg, weil ich das nicht wahrhaben will. Innerlich löse ich mich schon sehr viel früher von ihm, als ich es mir ehrlich eingestehe. Irgendwann beschließe ich jedoch, mein Dasein als seine Muse zu transformieren. Ich werde wieder Markus und setze meine notwendigen Lehrjahre fort.
Als ich meinen ehemaligen Gefährten Barbara 2001 als meinen Exfreund vorstelle, öffnet sie ihm alle Ohren. Sogar die, die sie gar nicht hat. Sicher – sie ist schon etwas überrascht; geschockt jedoch keinesfalls. In einer lauen Nacht kommt Barbara mit einer naiven Frage sehr nah an sein Innerstes heran: „Nun sag mir doch, worin liegt heutzutage noch die Notwendigkeit von Theater? Ich habe in meiner Jugend immer wieder langweilige Inszenierungen gesehen. Alles eine Soße, ob modern oder klassisch. Immer nur Mord und Totschlag, Gebrüll und ermüdender öffentlicher Sex! Warum soll ich mir das antun? Es scheint alles die gleiche Aktualisierung zu sein von ein und demselben Götz von Berlichingen!“
Seine Ohren hatten richtig gehört, und er nahm die geistige Herausforderung an. „Also, Barbara, fange ich möglichst weit vorne an?“ Barbara nickt mit dem Kopf und erinnert sich an einen Satz ihres Vaters: „Es kommt nicht darauf an, was A sagt, sondern darauf, was B
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