Markus, glaubst du an den lieben Gott? (German Edition)
Verantwortung. Die Wiederholungen laufen, und mein Nachbar muss sich keine Sorgen machen.
Doch zurück zu meinem Leben als Schauspieler. Im Krimi-Format „Der letzte Zeuge“ habe ich die Fahne für anspruchsvolle Unterhaltung hochgehalten, ich habe mir dieses Engagement auf Biegen und Brechen als berufliche Herausforderung erhalten. Das führte jedoch zusammen mit meinen bis zur Perfektion gestalteten Werbetätigkeiten und Theaterengagements dazu, dass ich kaum noch zu Hause war. Wenn ich in einem Flugzeug einschlief, wusste ich teilweise nicht, in welcher Stadt ich beim Erwachen war. Und privat habe ich schon viel früher einfach niemanden mehr „offiziell“ nah an mich herangelassen, einfach um Enttäuschungen aus dem Weg zu gehen. Gerettet hat mich der Schritt in die Ehe mit meiner Frau Barbara. Nicht nur die Begegnung mit ihr, sondern auch das Versprechen vor Gott war ausschlaggebend für eine nachhaltige Wende in meinem Leben. Doch die braucht Zeit.
Das Jahr 2007: Mein Agent L. und ich sind zu dieser Zeit nicht mehr auf derselben Wellenlinie. Wir überhören beide die Signale, die ein Umdenken hätten ermöglichen können. Ich bin ausgebrannt und mitten in der Alkoholkrankheit angekommen. Ich leugne die Krankheit und verletze L., ohne es zu merken. Er will mir helfen, ich lasse es nicht zu. Wir trennen uns.
Ich habe kein Allheilmittel gegen die Schmerzen, die Abschied und Selbstfindung mit sich bringen. Aber ich kann erzählen, wie ich damit umgegangen bin. Abschiede können heilsam sein. Wenn der Vater stirbt, ist das etwas anderes. Ich bekomme heute Herzflattern, wenn ich meinen Vater in alten Videofilmen sehe und höre. Warum? Erkenne ich mich selbst ein Stück weit in ihm wieder? So ist es. Es existiert eine Aufnahme aus dem Festspielhaus in Salzburg von 1989, es war seine Verabschiedung vom Orchester und von Herbert von Karajan. Vaters letzte Worte zum Orchester waren an diesem Tag (dem Sinn nach): „Ihr, die jungen Leute, möget eure Zeit nutzen. Haltet den Geist des Orchesters hoch und bewahrt euch die Harmonie der Musik und Kameradschaft. Wehrt euch gegen Disharmonie!“ Der amtierende Orchestervorstand fand seinerseits damals in seiner Rede einen liebevollen und zugleich leicht ironischen Ton: „Heinrich, du warst schon immer derjenige, der besonders stolz darauf war, ein Berliner Philharmoniker zu sein!“
Ich fühle mich meinem Vater sehr nah, aber ich bin eben doch ganz anders. Und ich bin damit einverstanden, dass ich so bin, wie ich bin. Ein bacchantischer Mensch, ganz auf meine Art und aus welchem Grund auch immer. Als Opfer empfinde ich mich nicht. Um mit dem amerikanischen Schauspieler Anthony Hopkins zu sprechen: Ich bin sogar dankbar dafür, dass ich meine Krankheit erkannt habe. Auch wenn meine Sucht nicht heilbar ist, kann ich täglich an meiner Genesung arbeiten und nützlich sein. Und ich lebe glücklich damit. Das Wichtigste ist so einfach auszusprechen, wie es schwer ist, es auf Anhieb zu begreifen: Ich lasse das erste Glas und die erste Droge stehen. Es könnte mein letztes Mal sein.
Ich mache als Kind bereits viel unfreiwilligen Blödsinn. Mir passieren einfach Dinge, die die anderen Kinder komisch finden. Ich muss mich dazu nicht verstellen. Jedes Mal, wenn ich nach einem Fußball kicke, geht der entweder gleich kaputt oder landet im See. Oder ich lande auf meinem Hintern, weil ich danebentrete. Das ist eigentlich gar nicht so ungewöhnlich. Aber ich kann ja nicht ahnen, dass das auch anderen Kindern so geht.
Meine Schusseligkeit kommt auch heute noch immer wieder durch. Ganz konkret bin ich ihr ausgeliefert, wenn ich in die Entspannung gehe. Wie zum Beispiel bei der Geschichte mit dem schweren Koffer, den ich am Tag unserer Abreise in den Urlaub mit frisch eingecremten Händen anzuheben versuche. Es ist das Jahr vor meiner Kapitulation. Alles kommt in diesem Jahr zusammen: Zu viel berufliche Belastung auf der einen Seite, Enttäuschungen über nicht realisierte Projekte auf der anderen. Endlich hab ich mal den Kopf etwas frei! Ich bin mit meinen Gedanken schon beim zweiten Koffer, der noch gar nicht fertig gepackt ist, und lockere den Griff meiner Finger. Woher soll ich wissen, wo der hinfällt?
Mit gebrochenem Mittelfußknochen erlebe ich anschließend den langweiligsten Urlaub meines Lebens. Ich verbringe die Nachmittage mit einem erfolgreichen Unternehmer an der Poolbar mit Cocktails und Backgammon. Er war gegen seine eigene Bürotür gelaufen, danach hintenüber
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