Marlene Suson 1
hatte.
Jerome sah sich im Ballsaal des Duke of Devonshire um, in dem die Creme der englischen Gesellschaft versammelt war. Es würde nicht schwierig sein, seine Frau ausfindig zu machen. Er brauchte
sich nur daran zu orientieren, wo sich die Männer im Saal auf einer Stelle zusammendrängten. In ihrer Mitte würde er mit Si- cherheit Rachel finden.
So war es bislang bei jeder Gesellschaft gewesen, die sie be- sucht hatte. Rachels unvergleichliche Schönheit und ihr Charme hatten sie zur Königin der Saison gemacht. Man hatte den Ein- druck, daß alle Männer Londons ihr zu Füßen lagen.
Jerome war sicher, daß sie niemandem Avancen machte, doch wie er es schon befürchtet hatte, spornte das die Salonlöwen nur um so stärker an. Und noch immer war Jerome nicht völlig sicher, ob sie am Ende nicht doch noch Erfolg haben könnten. Er war fest entschlossen, so lange in London zu bleiben, bis er wirklich endgültig sicher war, daß seine Frau ihn nie betrügen würde. Er war sich allerdings durchaus im klaren darüber, daß die Schuld daran nicht bei Rachel lag, sondern bei ihm selbst und seinen Erinnerungen an Cleo.
Endlich entdeckte Jerome Rachel in dem überfüllten Ballsaal. Sie war, wie er ganz richtig vermutet hatte, von Bewunderern umlagert, unter denen sich auch Anthony Denton befand. Die Art, wie er Rachel regelrecht verfolgte, ging Jerome entsetzlich auf die Nerven.
Immer wieder sagte er sich, daß Rachel nicht auf Tony herein- fallen würde. Sie war nicht Cleo. Sie liebte ihren Mann. Er lächelte unwillkürlich bei dem Gedanken an die Briefchen, die sie ihm schrieb, seitdem sie in London waren. Sie versteckte sie immer an den ausgefallensten Orten, und er freute sich jedesmal wie ein Schneekönig, wenn er wieder so eine Liebesbotschaft fand.
Als Jerome sich einen Weg durch die Menge bahnte, erspähte er Sir Henry Lockman, Emily Hextables etwas einfältigen Ver- lobten. Es hatte Jerome überrascht, wie eilig Emily diesen Hei- ratsantrag angenommen hatte, indes durfte er sich keine Kritik anmaßen. Wie sollte er auch, da er doch selbst im Glashaus saß.
Er ertappte sich bei dem Gedanken, daß er Lockman von Herzen beneidete. Nicht, weil er Emily heiratete, sondern weil er sich nie Sorgen darüber zu machen brauchte, ob sie ihm auch treu war.
Als er an einem Mann vorbeikam, der Neville Griffin ein wenig ähnelte, erinnerte er sich daran, daß er Rachel noch nichts von Griffins neuesten Nachrichten erzählt hatte. Der frühere Kapi- tän der Betsy war wieder in England und hatte alles bestätigt, was seine Leute Griffin berichtet hatten. Stephen war tatsäch- lich auf seinem Schiff von Calais nach Dover gefahren. Doch der
Kapitän bestritt energisch, den bewußten Brief an die Wingates geschrieben zu haben.
„Glauben Sie, daß er lügt, um sich reinzuwaschen?‚ hatte Je- rome Griffin gefragt. „Halten Sie es für möglich, daß er an Ste- phens Verschwinden beteiligt war?‚
„Euer Gnaden‚, hatte der Agent geantwortet. „Ich weiß selbst nicht, was ich glauben soll.‚
Plötzlich tauchte Lord Rufus Oldfield neben Jerome auf. In ganz London gab es nur ein größeres Klatschmaul als ihn, und das war seine Gattin. Was für ein unerfreuliches Paar, dachte Jerome angewidert.
„Haben Sie schon von Lord Birkhalls jüngster Wette gehört?‚
Birkhall war ein Gewohnheitsspieler und ein steinreicher Wei- berheld, der sich einen Spaß daraus machte, unerfahrenen jun- gen Mädchen die Unschuld zu rauben. Er war zu jeder Tages– und Nachtzeit bereit, enorme Summen auf alles zu wetten, was ein wenig Amüsement versprach. Und die Dinge, die ihn amüsierten, waren zumeist entweder grausam oder schlüpfrig.
„Nein‚, antwortete Jerome, und es interessierte ihn auch nicht. Doch er wußte, daß er Oldfield nicht eher los wurde, bis dieser ihn aufgeklärt hatte.
„Birkhall hat mit Anthony Denton um zwanzigtausend Pfund gewettet, daß es Tony nicht gelingen wird, eine gewisse Dame der Gesellschaft zu verführen.‚
„Welche Dame?‚ entfuhr es Jerome wider Willen.
„Tja, das ist der Knackpunkt‚, feixte Oldfield. „Namen wur- den nicht genannt. Aber wenn man bedenkt, wie Tony um Ihre Gemahlin herumscharwenzelt, dürfte die geheimnisvolle Dame wohl die Herzogin sein.‚
Es drängte Jerome, Oldfield mitten in sein grinsendes Gesicht zu schlagen.
„Wundere mich, daß Sie noch nichts davon gehört haben‚ stichelte Oldfield weiter, und sein Grinsen wurde noch breiter. „Ganz London redet von nichts
Weitere Kostenlose Bücher