Marlene Suson 1
Liebe mit deinem Vertrauen. Ich würde dich niemals betrügen. Rachel.
Nachdenklich betrachtete er das Billett. Ihre Handschrift war genauso unverwechselbar schön und anmutig wie sie selbst. Noch nie hatte er ein so schwungvolles ,R’ gesehen wie in ihrer Unter- schrift.
Sein Butler erschien in der Tür und kündete einen Besucher
an. Der Mann habe seinen Namen nicht nennen wollen, jedoch behauptet, etwas in seinem Besitz zu haben, das Jerome außer- ordentlich interessieren würde.
Jeromes Neugier war geweckt. Er wies den Butler an, den Mann hereinzuführen. Ihm war jedes Mittel recht, wenn es nur dazu beitrug, ihn von seinen Sorgen wegen Rachel und Denton abzu- lenken.
Bei dem Besucher handelte es sich um einen stämmigen jungen Mann mit rötlichem Haar. Auf den ersten Blick wirkte er recht gutaussehend, bis man den unsteten Blick der grauen Augen be- merkte. Er kam Jerome irgendwie bekannt vor – etwas an der Form des Gesichts und dem Schnitt der Nase – doch er konnte sich nicht erinnern, diesen jungen Burschen schon einmal getroffen zu haben. „Mein Name ist Leonard Tarbock, Euer Gnaden. Ich bin Diener bei Anthony Denton.‚
Eine böse Ahnung beschlich Jerome. „Was wollen Sie?‚
„Ich habe Briefe, die Euer Gnaden interessieren dürften, und ich bin bereit, sie Ihnen zu einem gewissen Preis zu verkaufen.‚
„Wessen Briefe?‚
„Briefe von Ihrer Frau an meinen Herrn. Für fünfhundert Pfund können Sie sie haben.‚
Jerome kämpfte gegen den schrecklichen Schmerz an, der ihn zu überwältigen drohte. „Das glaube ich Ihnen nicht.‚
„Überzeugen Sie sich selbst. Hab sie ja bei mir.‚ Tarbock zog zwei zusammengefaltete Blätter aus der Tasche und hielt sie so, daß Jerome das oberste Blatt sehen konnte. Es war ein an Anthony Denton in der Mount Street adressierter Brief.
Und es war Rachels unverwechselbare Handschrift. Darüber gab es keinen Zweifel.
In diesem Augenblick sah Jerome rot. Bevor er selbst begriff, was geschah, schmetterte er seine Faust mitten in Tarbocks Gesicht.
Der Diener taumelte zurück, stieß gegen das grüne Sofa und ging zu Boden. Als er versuchte, sich mit den Händen abzufan- gen, fielen die Briefe auf den Teppich. Jerome ergriff sie, bevor der Mann sich aufraffen konnte.
Die Tür flog auf, und der Butler stürzte herein, gefolgt von zwei Lakaien, die der Lärm angelockt hatte.
„Werfen Sie diesen Mann hinaus‚, befahl Jerome mit eisiger Stimme.
Widerstandlos ließ Tarbock sich hinausführen. Es blieb ihm
zwar gar nichts anderes übrig, doch es überraschte Jerome trotz- dem, daß der Mann nicht einmal mehr den Versuch machte, etwas für die Briefe zu bekommen.
Sobald Jerome allein war, öffnete er den ersten Brief und las ihn.
Die Buchstaben verschwammen ihm vor den Augen, und er nahm den Inhalt des Briefes nur bruchstückhaft wahr:
... Ich lebe nur noch für die Stunden mit dir, mein geliebter Tony ... Jerome hat keinen Verdacht . . . Ferris, Jeromes Wach- hund auch nicht ... Wenn Jerome mich berührt, stelle ich mir vor, du wärst es. Sonst könnte ich es nicht ertragen, von ihm angefaßt zu werden ...
Es war Rachels Handschrift und auch ihre Unterschrift.
Jerome zerknüllte den Brief und sank auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch nieder. Cleos Verrat fiel ihm ein, doch der Schmerz, den er damals empfunden hatte, war nichts, verglichen mit der unerträglichen Qual, die ihm jetzt das Herz zerriß.
Cleo war seine erste Liebe gewesen, doch seine Gefühle für sie waren nur ein blasser Schatten dessen, was er für Rachel emp- fand. Sie war sein Leben geworden.
Wie hatte er nur ein solcher Narr sein können, daß er denselben Fehler zum zweitenmal machte? Er hätte doch gewarnt sein müs- sen. Einer schönen Frau durfte man nun einmal nicht trauen. Er hatte zugelassen, daß sein unersättliches Verlangen nach Rachel seinen gesunden Menschenverstand außer Gefecht setzte. Eine eisige, trostlose Kälte erfaßte ihn, breitete sich in seinem Innern aus und tötete jedes Gefühl in ihm.
Jerome legte die beiden Blätter neben das Brief chen, das er in dem Hauptbuch gefunden hatte. Nur ein Blinder würde bestrei- ten, daß alle drei von ein und derselben Person geschrieben wor- den waren.
Langsam stieg der kalte Haß in ihm auf, während er das kunst- volle ,R’ betrachtete, das ihm noch vor ein paar Minuten so gut gefallen hatte.
Bitte besiegle unsere Liebe mit Deinem Vertrauen. Ich würde Dich niemals betrügen.
Diese verfluchte, verlogene
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