Marlene Suson 1
sich anderen Frauen zu widmen, begriff sie beim besten Willen nicht, wozu das gut sein sollte.
Rachel sehnte sich zurück nach Royal Elms. Dort war sie sehr
viel glücklicher gewesen. Wie gern hätte sie all diese gepriesenen Londoner Zerstreuungen gegen die stillen Abende eingetauscht, die sie mit Jerome auf Royal Elms verbracht hatte. Unglückli- cherweise zeigte Jerome keine Neigung, auf seinen Landsitz zu- rückzukehren.
Seine Geschäfte nahmen ihn so sehr in Anspruch, daß sie viel weniger von ihm sah, als ihr lieb war. Sie hatte sich angewöhnt, ihm kleine Liebesbrief chen zu hinterlassen, wenn sie ausging.
Rachel wußte inzwischen, daß auch er sie liebte. Sie mußte lä- cheln, wenn sie daran dachte, wie besorgt er um sie war. Seitdem der Schuß unten am Bach gefallen war, wachte er über sie wie eine Glucke. Sie selbst glaubte immer noch an einen Unfall, denn wer sollte schon den Wunsch haben, sie zu töten? Doch Jerome bestand darauf, daß sie auch in London grundsätzlich von Ferris begleitet wurde, und vier bewaffneten Männern, die zu beiden Seiten ihrer Equipage ritten.
„Nicht einmal der König wird so scharf bewacht‚, beklagte sie sich bei ihrem Mann.
Ihre glücklichsten Momente waren die frühen Morgenstun- den, wenn sie von ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen zu- rückkehrten. Dann gingen sie zu Bett und liebten sich wild und leidenschaftlich. In Jeromes Armen vergaß Rachel diese unter- schwellige, beständig an ihr nagende Vorahnung, daß ihr Besuch in London ein unrühmliches Ende nehmen würde.
Während Rachel nun in dem mondänen Salon saß und dem seichten Geplauder der Damen nur mit halbem Ohr zuhörte, fragte sie sich, was ihr Bruder Stephen an London so geliebt haben mochte. Sie würde so gern heimfahren nach Royal Elms. Dort hatte ihr Leben einen Sinn.
Rachel unterdrückte ein Gähnen. Sie war in letzter Zeit auf- fallend müde. Das paßte gar nicht zu ihr. Normalerweise steckte sie voller Energie. In den letzten zwei oder drei Tagen war ihr morgens auch übel gewesen. Allmählich keimte der Verdacht in ihr, daß sie vielleicht ein Kind erwartete. Der Gedanke erfüllt sie mit Glück und Freude, doch sie wollte erst sicher sein, bevor sie Jerome einweihte.
Eine der Frauen sagte gerade: „Wie ich höre, verläßt Emily Hextable London in drei Tagen. Sie fährt zurück nach Bed- fordshire, um ihre Hochzeit mit Sir Henry Lockman vorzube- reiten.‚
Emilys überraschende Verlobung mit Sir Henry war zwei Tage
nach Rachels und Jeromes Ankunft in London bekannt gegeben worden.
Lady Oldfield meinte gehässig: „Was für ein Abstieg für die arme Emily. Da hat sie sich schon als Herzogin gesehen und muß sich nun mit einem simplen Baronet begnügen. Nachdem ihr der Herzog durch die Lappen gegangen ist, hat sie allerdings keine Zeit verloren und den erstbesten Antrag angenommen.‚ Sie ki- cherte hämisch. „In ihrem Alter hat man auch keine Zeit zu ver- lieren.‚
Rachel mochte Emily zwar nicht, doch Lady Oldfield mit ihrer spitzen Zunge noch weniger.
Mit einem unangenehmen Glimmen in den Augen wandte Ihre Ladyschaft sich Rachel zu. „Dieser reizende Anthony Denton macht Ihnen ja sehr hartnäckig den Hof, verehrte Duchess. Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern.‚
Ja, das tat er wirklich. Viel zu hartnäckig, und nichts schien ihn zu entmutigen, was immer Rachel auch sagte. Falls Tony sie mit seinen unerwünschten Aufmerksamkeiten überschüttete, um Jerome eifersüchtig zu machen, dann war ihm das durchaus ge- lungen.
„Dieser Tony ist aber auch wirklich ein charmanter Teufel‚, flötete Lady Oldfield mit einem anzüglichen Lächeln. „Und so ein vollendeter Liebhaber!‚
Diese subtile Unterstellung, noch dazu von einer Frau, die al- lem Anschein nach selbst einmal Dentons Geliebte gewesen war, brachte Rachel in Harnisch. Sie war so erbost, daß sie beschloß, es dieser Giftspritze mit gleicher Münze heimzuzahlen. Spöttisch hob sie eine Braue und fragte: „Ach, tatsächlich? Offenbar ken- nen und schätzen Sie seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet besser als ich.‚
Lady Oldfield schnappte nach Luft und lief dunkelrot an. Ei- nige der anderen Damen verbargen ein Kichern hinter juwelen- geschmückten Händen und spitzenbesetzten Fächern. Endlich einmal hatte jemand Ihre scharfzüngige Ladyschaft mundtot ge- macht. Doch der bitterböse Blick in Lady Oldfields schmalgewor- denen Augen verriet Rachel, daß sie sich eine gefährliche Feindin gemacht
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