Marlene Suson 1
stand. Dann fiel ihr Ge- sicht in sich zusammen, ebenso wie ihr Traum, Herzogin zu wer- den. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie drehte sich auf dem Absatz um und floh aus dem Raum.
Fast hätte sie Rachel leid getan, wenn sie nicht versucht hätte, das Leben eines Mannes zu ruinieren, nur weil er ihr nicht mit der gebotenen Ehrerbietung begegnet war.
„Euer Gnaden‚, sagte Sophia entschuldigend. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was in dieses dumme Ding gefahren ist. Ich fürchte, das Mädchen ist ein bißchen durcheinander.‚ Mit einem Blick auf die Uhr fuhr sie fort: „Einer unserer Gäste, Sir Waldo Fletcher, ist noch nicht eingetroffen.‚
Rachel unterdrückte einen Laut des Unwillens, als sie hörte, daß Fletcher eingeladen war.
„Wir werden ohne ihn anfangen müssen‚, entschied Sophia. Sie sah den Herzog an. Offenbar erwartete sie, daß er sie zu Tisch führte.
Statt dessen wandte er sich um und bot Rachel den Arm. Ihr Herzschlag stockte, als er mit seiner tiefen, angenehmen Stimme sagte: „Darf ich Sie ins Speisezimmer führen, Lady Rachel?‚
„Euer Gnaden!‚ rief Sophia protestierend.
Arrogant hob der Herzog eine Braue. „Ja, Mrs. Wingate?‚
Mit einem unterdrückten Schmunzeln nahm Rachel zur Kennt- nis, auf welch subtile Art er Sophia daran erinnerte, daß ihre Nichte als Tochter eines Earl gesellschaftlich über ihr stand.
Als Rachel die Hand auf seinen Arm legte, spürte sie unter dem Ärmel seines Rocks die harten Muskeln. Der Hauch eines Duft- wassers, den sie als außerordentlich angenehm empfand, wehte zu ihr herüber. Während er sie ins Speisezimmer führte, breitete sich eine seltsame Wärme in ihr aus.
Der Herzog nahm den Stuhl neben ihrem, den Tante Sophia für Lord Felix vorgesehen hatte. Rachel bemühte sich, ihre Freude
und Erleichterung nicht allzu offen zu zeigen, als der vertriebene Stutzer schließlich am anderen Ende des Tisches neben Sophia landete. Es war der Platz, den Sophia für Westleigh vorgese- hen hatte.
Sophia war sichtlich ungehalten darüber, daß der Herzog ihre Sitzordnung so mißachtet hatte, und ihre Augen schossen Blitze zu ihm und ihrer Nichte hinüber.
Als die Lakaien die Spargelcremesuppe servierten, war Rachel sich der Nähe des Herzogs überdeutlich bewußt. Sie spürte seine breiten Schultern neben sich und die Wärme und Vitalität, die von ihm ausgingen.
Sie beobachtete seine gut geformte Hand, die – abgesehen von dem Siegelring ohne auffallenden Schmuck – mit dem Weinglas spielte. Seine Finger waren lang und schmal, und Rachel schaute fasziniert zu, wie sie beinahe zärtlich über das Kristall glitten. Sie erinnerte sich an das Lustgefühl, das diese Finger in ihr ausgelöst hatten, als sie sich um ihre Brust legten. Heiße Röte stieg ihr in die Wangen.
Die Suppenschalen wurden abgeräumt, und man brachte den zweiten Gang. Fannys Platz Rachel gegenüber blieb leer, wie auch der von Sir Waldo, Sophia gegenüber. Er würde sicher noch kommen. Bei seinem gesellschaftlichen Ehrgeiz würde er niemals die Chance verpassen, mit dem Duke of Westleigh zu dinieren.
Hätten Rachel oder ihr Vater dem Haushalt auf Wingate Hall noch immer vorgestanden, wäre Fletcher nicht eingeladen wor- den. Der verstorbene Earl hatte diesen angeberischen Langweiler verachtet, sowohl wegen seiner kriecherischen Unterwürfigkeit gesellschaftlich Höhergestellten gegenüber, als auch wegen der niederträchtigen Art, mit der er die Menschen behandelte, die für ihn arbeiteten.
Seinen enormen Reichtum hatte er mit seinen Kohleminen er- worben, in denen die Bergleute endlos lange Schichten unter übel- sten Bedingungen schuften mußten. Dabei verdienten sie kaum genug, um ihre Familien ernähren zu können, während Sir Waldo im Luxus schwamm.
Doch Tante Sophia schätzte Sir Waldo, was Rachel nicht über- raschte. Die beiden waren aus demselben Holz geschnitzt.
Nachdem Rachels Vater gestorben war, hatte Fletcher ihr sehr aufdringlich den Hof gemacht. Einmal hatte er sie sogar gepackt und gegen ihren Willen geküßt. Rachel war so wütend geworden, daß sie ihm ins Gesicht gesagt hatte, was sie von ihm hielt.
Bei diesem Wortwechsel waren auch andere zugegen gewe- sen, und deshalb verfolgte Fletcher sie seitdem mit unversöhnli- chem Haß.
Während die Dinnergesellschaft dem Steinbutt in Rieslingsoße zusprach, erschien Sir Waldo endlich auf der Bildfläche. Er war ein kurzer, gedrungener Mann, prächtig herausgeputzt mit einem grünen Satinrock und
Weitere Kostenlose Bücher