Marlene Suson 1
blumig aus- gedrückt haben, wenn ich es verhindern kann‚, fiel Rachel den beiden energisch ins Wort. „Ich habe nicht die Nacht damit ver- bracht, ihr Leben zu retten, damit Sie an den Galgen kommen. Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.‚
Gentleman Jack wirkte wie vom Donner gerührt. „Sie sind die ganze Nacht hiergewesen?‚
„Is kein’n Aug’nblick von Ihrer Seite gewich’n‚, versicherte Sam. „Ohne sie hätt’n wir Sie einscharr’n müss’n.‚
„Hölle und Teufel!‚ fuhr der Straßenräuber Rachel an. „Warum sind Sie die Nacht über hiergeblieben? Und wenn man Sie er - wischt? Weshalb riskieren Sie so viel für mich? ‚
„Weil ich Ihnen genauso dankbar bin wie Sam. Sie helfen den Menschen, die es so bitter nötig haben. I ch darf gar nicht daran denken, wie viele von ihnen Pächter von Wingate Hall sind. So etwas hätte es zu Lebzeiten meines Vaters nicht ge - geben.‚
„Auch nich’, wie Sie noch zu sag’n hatt’n‚, warf Sam treuher- zig ein.
„Ihre Wunde sieht schon viel besser aus‚, sagte Rachel. „Hat Sir Waldo Sie angeschossen?‚
„So ist es.‚
„Das überrascht mich. Ich hätte nie geglaubt, daß er einen Stier auf zehn Schritte trifft.‚
„Besonders nicht von Angesicht zu Angesicht‚, pflichtete der Straßenräuber verächtlich bei. „Sie hätten sehen sollen, wie der Feigling vor Angst gewinselt hat. Aber dann, als ich wegritt, ver - suchte er mir in den Rücken zu schießen. Er hat zwar nur einen Baum getroffen, doch die Kugel ist so unglücklich abgeprallt, daß sie mich getroffen hat. Künstlerpech. Mein Pferd hat sich aufgebäumt und mich abgeworfen. Dabei bin ich mit dem Kopf aufgeschlagen. Zum Glück war Fletchers Kutsche schon auf und davon, sonst säße ich jetzt hinter Gittern.‚
Als Rachel ihre Ledertasche aufhob und gehen wollte, sagte er: „Sie wirken ganz erschöpft. Gehen Sie gleich zu Bett, ja?‚
Rachel nickte, doch sie wußte genau, daß sie noch eine Weile brauchen würde, bis die Spannung von ihr abfiel und sie ein- schlafen konnte. Sie würde die Zeit nutzen, um einen weiteren Brief an ihren Bruder George zu schreiben. Hoffentlich erhörte er endlich ihre Bitten, seinen Militärdienst aufzugeben und nach Wingate Hall zurückzukehren.
Als sie sich zum Gehen wandte, ergriff Gentleman Jack ihre Hand und küßte sie galant. „Jeder spricht von Ihrer Güte und Schönheit, Lady Rachel, aber die Wirklichkeit übertrifft alle Be- schreibungen.‚
„Oh ... danke‚, stotterte Rachel ein wenig befangen und wünschte gleichzeitig, daß es der Herzog wäre, der sie mit so rückhaltloser Bewunderung anlächelte.
Gentleman Jack verstärkte den Druck seiner Hand. „Sollten Sie je Hilfe brauchen, Mylady, dann können Sie auf mich zählen. Ich tue für Sie, was immer Sie von mir fordern. Mein Wort darauf.‚
9. KAPITEL
Als Jerome das Frühstückszimmer betrat, saßen Alfred und So- phia Wingate und Mr. und Mrs. Paxton schon am Tisch. Ent- täuscht nahm Jerome Rachels Abwesenheit zur Kenntnis, obwohl diese Reaktion völlig paradox war. Er hatte doch beschlossen, sie zu meiden.
Sein Mund wurde schmal, als er daran dachte, wie verletzt sie gestern abend gewirkt hatte. Doch nicht nur sie hatte gelitten. Er hätte nie gedacht, daß er ihre Gesellschaft so vermissen würde. Er hatte seine ganze Willenskraft einsetzen müssen, um sich von ihr fernzuhalten. Dabei war er nicht einmal sicher, daß es ihm gelungen wäre, wenn sie sich nicht kurz nach dem Dinner ver- abschiedet hätte und in ihr Zimmer gegangen wäre.
Jerome trat ans Buffet, auf dem die Speisen angerichtet wa- ren. Hinter ihm unterhielten sich Sophia und die Paxtons über König Georg. Jerome hörte mit halbem Ohr zu, während er sich bediente.
„Was immer Sie auch von diesem König halten, er ist allemal besser als sein Vater‚, meinte Mr. Paxton.
„Jeder wäre besser als der‚, spöttelte Sophia. „Ich weiß noch, wie George I. mit seinen beiden dicken deutschen Mätressen aus Hannover kam. Gott, waren wir alle enttäuscht. Es war ein schwarzer Tag für die englische Monarchie.‚
Jeromes Augen wurden schmal. Sophia hatte in der Tat ein be- merkenswertes Gedächtnis, denn wenn sie erst sechsundzwan- zig war, wie sie behauptete, wäre sie zu der Zeit noch gar nicht geboren gewesen. Sein Interesse an der Wahrheit über Sophia Wingates Herkunft wuchs.
Er setzte sich möglichst weit von ihr entfernt. Während er früh- stückte, dachte er unentwegt an seinen Bruder. Nachdem Ferris
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