Marlene Suson 1
welcher Tortur er seinen großen Bruder aussetzte.
10. KAPITEL
Seit Jerome vor zwei Tagen Morgans Nachricht bekommen hatte, tat er sein Bestes, um Rachel aus dem Weg zu gehen. Sie war eine so verführerische Frau, daß jeder heiratsfähige Mann nur zu gern bereit wäre, ihr einen Antrag zu machen.
Außer Jerome.
Wie groß sein Verlangen nach ihr auch sein mochte – und es traf ihn hart, wie groß es wirklich war – niemals würde er eine so atemberaubende Schönheit heiraten. So ein Narr war er nicht. Auch wenn Rachel jetzt noch tugendhaft und unschuldig war – kam sie nach London, würde jeder Galan hinter ihr her sein. Und wenn sie erst die Bekanntschaft von so durchtriebenen Weiber- helden wie Anthony Denton machte, wäre sie bald genauso aus- schweifend wie ihre Tante.
Jerome wollte verdammt sein, wenn er sein Leben damit ver- brachte, pausenlos seine Ehre gegen die Liebhaber seiner Frau zu verteidigen.
Nein, Emily Hextable war die richtige Frau für ihn. Außerdem war er ihr auch verpflichtet, obwohl er ihr noch keinen offiziellen Antrag gemacht hatte.
Er mußte Rachel eben weiter ignorieren, bis er Wingate Hall verlassen konnte.
Das jedoch war die schwerste Aufgabe, die er je zu bewältigen hatte. Beim Dinner spitzte er die Ohren, um zu hören, was Rachel am anderen Ende des Tisches sagte. Nach dem Dinner setzte er sich im Salon so weit wie möglich von ihr entfernt, doch er konnte die Augen kaum von ihr wenden.
Er mußte fort von Wingate Hall. Sobald er mit Morgan ge- sprochen hatte, würde er nach Royal Elms zurückkehren und um Emilys Hand anhalten, wie er es schon vor Monaten hätte tun sollen.
Bei dem Gedanken flog ein Schatten über sein Gesicht. Die Aussicht, mit Emily verheiratet zu sein, erschien ihm plötzlich
so wenig verlockend. Wer trank schon Fliederbeertee, wenn er Champagner haben konnte? Und dennoch, diese moralische Ver- pflichtung ihr gegenüber bestand nun einmal, und der Duke of Westleigh drückte sich nicht vor seinen Verpflichtungen.
Jerome flüchtete sich in den Rosengarten, der von einer hohen Hecke umgeben war, so daß man ihn vom Haus aus nicht einsehen konnte. Als er in den Garten kam, überraschte er dort Lord Felix, der – angetan mit einem leuchtendroten Satinrock und einem aus- gefallenen Hut gleicher Farbe, den ein imposanter Federschmuck zierte – zwischen den Rosenstöcken auf und ab schritt, wobei er laut vor sich hin deklamierte. Wie er Jerome erklärte, memorierte er gerade seine Ansprache, mit der er am heutigen Abend Lady Rachel um ihre Hand bitten wollte.
Ihre Abneigung gegen Felix war so offensichtlich, daß Jerome sich fragte, weshalb der Stutzer dieses Wagnis überhaupt ein- ging. Auch machte Lord Felix auf ihn nicht den Eindruck eines Mannes, der sein Herz verloren hatte – falls er überhaupt eines besaß unter all diesen Spitzen, Rüschen und Brillanten
„Warum wollen Sie ihr einen Antrag machen?‚ fragte er un- verblümt.
Lord Felix sah den Herzog an, als zweifelte er an seinem Ver- stand. „Sir, Sie brauchen sie doch bloß anzuschauen! Es gibt keine schönere Frau weit und breit. Oder können Sie mir vielleicht eine nennen?‚
Jerome konnte es nicht.
„Ich habe den Segen ihrer Tante und ihres Onkels‚, vertraute Lord Felix ihm an. „Der Antrag ist nur eine reine Formalität.‚
Jerome bezweifelte stark, daß Rachel das genauso sah.
„Will es aber trotzdem richtig machen‚, erklärte Seine Lord- schaft. „Deshalb habe ich es aufgeschrieben und lerne es jetzt auswendig. Wenn ich nervös bin, komme ich nämlich manchmal ins Stottern.‚
„Wenn Ihr Antrag nur eine reine Formalität ist, warum sollten Sie dann nervös sein?‚
„Bin ich nun mal. Habe noch nie einer Frau einen Antrag ge- macht. Bisher war keine schön genug. Soll ich es Ihnen vorlesen? Dann können Sie mir sagen, was Sie davon halten.‚
Jerome wappnete sich mit Gleichmut, denn er erwartete eine lange, blumige Ansprache.‚
Mit einer theatralischen Geste schwang Lord Felix den Feder- hut vom Kopf, führte ihn zur Brust und machte eine tiefe Verbeu-
gung. Dann sagte er gestelzt: „Wollen Sie mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden? Sie . . . Sie . . . ‚ Er stockte, warf einen hastigen Blick auf den Zettel in seiner Hand und fuhr dann fort: „Sie machen mich zum glücklichsten Mann der Welt.‚
Erwartungsvoll sah er Jerome an.
„Ist das alles?‚
„Ja. Gut, nicht?‚
„Und so originell‚, sagte Jerome trocken.
Verunsichert sah Felix ihn an.
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