Marlene Suson 2
Gesellschaft. Er hatte einen Platz draußen auf der Kutsche genommen, als er erfuhr, daß das billiger war. Es war ein grauer, kühler Tag, und Meg hatte Angst, daß er sich erkälten könnte. Doch sie hatte gesehen, wie sorgfältig er die Münzen abgezählt hatte, als er das Geld für die Fahrscheine bezahlen mußte. Ihr war klar, daß sie ihr schmales Budget schon fast aufgebraucht hatten.
Ihre Ankunft in England war ganz anders verlaufen, als er es versprochen hatte. Warum hatte sie ihm nur geglaubt?
Sie machte einen halbherzigen Versuch, der dicken Frau zuzu- hören, die ihr gegenübersaß und sich als Mrs. Hockley vorgestellt hatte.
Bei ihrem Geschwätz drehte sich alles um die „feinen Pinkel“, wie sie die englische Aristokratie nannte. Offenbar befand sie sich in dem Irrtum, daß ihre Reisegefährtin an den schlüpfri- gen Details der Skandale, über die sie sich so genüßlich ausließ, ebenso interessiert war wie sie.
Wie Meg erfuhr, schöpfte Mrs. Hockley ihr umfassendes Wis- sen aus den Berichten ihrer Schwester, die als Näherin bei Madame d’Artemis, einer französischen Modistin, arbeitete. Ma- dame stand mit den Damen der Gesellschaft offenbar auf sehr vertrautem Fuß, und Mrs. Hockleys Schwester schnappte jede Menge Klatsch auf.
Und berichtete alles getreulich ihrer Schwester.
Mit wachsendem Widerwillen hörte Meg sich Mrs. Hockleys Geschichten über die unerhörten Ausschweifungen, die schok- kierenden Seitensprünge und die außerehelichen Affären des englischen Adelsstandes an. Diese Menschen waren zwar hoch- geboren, doch ihre Moral konnte tiefer nicht sinken. „Gibt es überhaupt einen Aristokraten in diesem Land, der seinem Ehepartner treu ist?“ konnte Meg sich nicht verkneifen zu fragen.
Mrs. Hockley, an die Sarkasmus offenbar verschwendet war, zuckte lediglich mit den Schultern. „So isses nun mal bei den feinen Pinkeln, Männern wie Frauen. Die spielen Bäumchen wechsle dich, und keiner denkt sich was dabei.“
Nun, Meg tat es, und sie wollte mit solchen Leuten nichts zu tun haben. Sie war heilfroh, daß ihr Mann kein Adliger war, denn zu dieser Gesellschaft wollte sie nicht gehören. Trotzdem
verstand sie jetzt besser, daß Stephen es für gegeben ansah, wenn ein Mann sich nach der Eheschließung eine Mätresse hielt. Es war ja durchaus möglich, daß es hier in England Mode war, doch Meg fand es deswegen kein bißchen weniger abstoßend und unmoralisch.
Während Mrs. Hockley unbeirrt weiterschwatzte, dachte Meg an Stephens Bemerkungen über Kate Dunbar. „Kennen Sie einen Lord Dunbar?“
„Nee, nie von so ‘nem Lord gehört. Wo soller denn hersein?“
„Sein Landgut heißt Royal Elms.“
„Nee, nee, da liegen Se falsch. Royal Elms is dem Duke of Westleigh sein Landgut.“
Damit hatte Stephen also recht gehabt.
„Alle sagen, Westleighs Herzogin wär die schönste Frau im Land. Glaubt meine Schwester aber nich. Hat se nie gesehen, sagt aber, ‘s gibt keine schönere Frau wie Lady Caroline Ta- ber, Sir John Tabers Frau und die Mätresse von Lord Arlington, Gott hab ihn selig. Das war vielleicht ‘n Mann! Zum Anbeißen! Meine Schwester sagt, alle Ladies warn hinter ihm her. Hat sich aber nur mit’n schönsten eingelass’n. Waren alles Kundinnen von Madame.“
„Alle?“ Meg war fassungslos. Eine Mätresse genügte dem- nach nicht. Der Mann hatte sich offenbar eine ganze Reihe zugelegt.
„Meine Schwester sagt, er hatte ‘n ganz tollen Geschmack. Wußte haargenau, was ‘ner Frau steht, egal ob Kleider oder Klun- ker. Und mächtig spendabel warer. Außer Lady Taber ha’m noch ‘ne Menge Frauenzimmer ‘ne Träne zerdrückt, alser hin war. Und seine Braut erst, diese Fanny Stoddard!“
Das hätte Meg nicht passieren können. Um einen so wet- terwendischen Windhund, der mit einer Frau verlobt war und gleichzeitig mit der eines anderen eine Affäre hatte, hätte sie nicht geweint. „Seine verblichene Lordschaft war offenbar ein vielbeschäftigter Mann“, bemerkte sie spitz.
Stephen und Meg verließen die Postkutsche bei einem Wirtshaus, in dem die Pächter und Arbeiter von Wingate Hall vorzugsweise verkehrten. Stephen hoffte, hier etwas darüber zu erfahren, was ihn zu Haus erwartete.
Er war froh, als sie das primitive Vehikel endlich verlassen
konnten. Es hatte ihm gar nicht gepaßt, Megan in einem öffent- lichen Verkehrsmittel nach Wingate Hall zu bringen, und dabei hatte sein Geld kaum noch dafür gereicht.
Die Fahrkarten waren teurer gewesen, als
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