Marlene Suson 2
im Luxus! Was für ein schlechter Scherz. Er hatte ja nicht mal das nötige Kleingeld, um ihr für diese Nacht ein Dach über dem Kopf zu besorgen.
Megans Wohlergehen lag ihm viel mehr am Herzen als sein eigenes. Er mußte sich etwas einfallen lassen, sonst konnte er seiner Frau nicht mehr ins Gesicht sehen.
Würde dieser Alptraum denn niemals enden?
Meg wanderte ziellos durch das Tal. Nun wußte sie zumindest, daß Wingate Hall tatsächlich existierte. Aber war Stephen der Eigentümer? Er mußte es sein, sonst hätte er sie doch nicht hergebracht.
Trotzdem war ihr beklommen zumute. Wenn Wingate Hall ihm nicht gehörte, waren sie in größten Schwierigkeiten, denn sie wußte, daß sie kein Geld mehr hatten. Ihr war nicht entgangen, wie zögernd Stephen sich auf der Reise von seinen Münzen ge- trennt hatte, wenn er für Essen und Unterkunft bezahlen mußte. Heute morgen beim Frühstück hatte sie ihm angemerkt, daß die letzten Reserven zur Neige gingen. Meg war sicher, daß nicht mehr genug Geld für ein Abendessen, geschweige denn für eine Übernachtung übrig war.
Was, wenn Wingate Hall nicht Stephen gehörte? Wenn alles nur Lügen gewesen waren? Sie kämpfte gegen die Angst an, die ihr Herz zusammenpreßte, und sagte sich immer wieder, daß der Besitz ihm gehören mußte. Wenn dem nicht so wäre, hätte er doch gewiß nicht die aufwendige Reise hierher gemacht und dafür all sein Geld ausgegeben. Er war ja schließlich nicht verrückt!
Als sie an den Häusern vorbeikam, fiel ihr auf, wie sauber und gepflegt sie waren. Als sie das vom Wirtshaus am weitesten entfernte Haus erreichte, sah sie einen wunderschönen Rotfuchs, der neben einer lebhaften braunen Stute angebunden war.
Hinter den Pferden führte ein Weg in ein Buchenwäldchen.
Meg folgte ihm, weil ihr die Landschaft so gut gefiel. Als sie ein Stück an dem Haus vorbei war, entdeckte sie einen Mann, der am Stamm einer entlaubten Eiche lehnte.
Er trug eine Lederhose und einen rotbraunen Jagdrock und beschäftigte sich angeregt mit einem kleinen Kind, das er auf dem Arm hatte. Obwohl Meg zu weit entfernt war, um die Worte zu verstehen, verriet ihr der zärtliche Ton der sonoren Stimme, daß der Mann liebevoll auf das Kerlchen einsprach.
Es war ein so rührender Anblick, daß sie stehenblieb und die beiden beobachtete. Der Mann mußte ihren Blick gespürt haben, denn er schaute plötzlich auf. Als er sie sah, setzte er sich den Kleinen auf die Schulter und kam auf sie zu.
Er war groß und muskulös und einer der bestaussehenden Män- ner, denen Meg je begegnet war. Er hatte ausgeprägte Züge, eine aristokratische Nase, hohe Wangenknochen und einen Mund, der so aussah, als würde er oft lächeln. Die schräg einfallen- den Strahlen der Abendsonne schienen sein blondes Haar zu vergolden.
Er begrüßte Meg mit einem freundlichen Lächeln. „Sind Sie hier irgendwo zu Besuch? Sie leben nicht auf dem Gut, nicht wahr?“
„Sie können doch unmöglich jeden kennen, der zu diesem großen Landgut gehört“, gab Meg überrascht zurück.
„Aber sicher doch.“ Das Baby fuchtelte mit seinen kleinen Fäusten durch die Luft und verrenkte sich fast den Hals, um zu sehen, wem diese fremde Stimme wohl gehörte. Der Mann nahm das Kind von der Schulter und drückte es mit einer beschützenden Geste an seine Brust. „Ich bin doch hier der Verwalter.“
„Und Sie leben in dem hübschen kleinen Haus dort?“
„Nein, ich warte nur auf meine Frau. Sie kennt sich in der Kräuterheilkunde aus, und der Mann, der in dem Haus lebt, ist krank. Sie behandelt ihn gerade.“
„Ist das Ihr Baby?“
Er schaute mit so viel Liebe und Stolz auf das Kind, daß Meg ganz warm ums Herz wurde. „Ja, das ist mein Sohn Stephen. Er ist nach seinem Onkel benannt.“
„Mein Mann heißt auch Stephen.“ Meg lächelte wehmütig. Wenn sie einen Sohn bekamen, würde ihr Mann den Kleinen dann auch so anschauen?
„Wie heißen Sie?“ fragte der Fremde.
„Meg.“
„Ich bin Jerome. Sie kommen aus den amerikanischen Kolo- nien, nicht wahr?“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich erkenne es an Ihrem Akzent. Was hat Sie herüber ins Mutterland geführt?“
„Mein Mann ist Engländer. Er wollte nach Haus.“
Der kleine Stephen, dem es offenbar nicht paßte, die Auf- merksamkeit seines Vaters an Meg abtreten zu müssen, erhob ein energisches Protestgeschrei, und Jerome begann sofort, ihn zu beruhigen. Es dauerte nicht lange, und der Kleine war wieder mit sich und der Welt
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