Marlene Suson 2
berichten, was in seiner Abwesenheit vor sich gegangen war. Vielleicht wußte sie sogar, wer noch in Georges Komplott gegen ihn verwickelt war.
Plötzlich schoß ihm eine weitere Möglichkeit durch den Kopf, die so grauenerregend war, daß ihm fast das Herz stehenblieb. Rachel hätte alles in ihrer Macht Stehende getan, um ein sol- ches Komplott gegen ihn zu verhindern. Und wenn sie es getan hatte . . . Welchen Preis hatte sie dafür zahlen müssen?
Eine Eiseskälte erfaßte ihn. Gott im Himmel, er mußte auf der Stelle nach Wingate Hall!
Stephen begann zu laufen.
23. KAPITEL
Meg lag mit geschlossenen Augen auf dem klumpigen Bett. Sie wollte nichts von dem schmuddeligen Zimmer sehen, das in so krassem Gegensatz zu dem Luxus stand, den Stephen ihr versprochen hatte. Sie wünschte, sie könnte auch ihre Ohren schließen, um den scheußlichen Lärm des Londoner Verkehrs unten auf der Straße nicht anhören zu müssen.
Sie vermißte Josh schrecklich. Hätte sie sich doch nicht von Stephen breitschlagen lassen, mit ihm zu gehen und ihren Bruder in Amerika zu lassen. Sie fühlte sich so schuldig Josh gegenüber, obwohl er mit Freuden bereit gewesen war, für eine Weile bei Wilhelm und Gerda zu bleiben.
Aber würde es wirklich nur für eine Weile sein? Sie fröstelte. Würde sie ihren Bruder je wiedersehen?
Sie hörte die Tür knarren und öffnete die Augen. Stephen kam herein und schloß die Tür leise hinter sich. Hoffnungsvoll sah sie ihn an. Doch ihre Hoffnung erstarb beim Anblick seines deprimierten Gesichts. Was immer er entdeckt hatte, während er unterwegs war, es konnte nichts Gutes sein. „Was hast du erfahren?“
Als er nicht gleich antwortete, fragte sie noch: „Brechen wir jetzt auf?“ Ihr Mund war plötzlich trocken.
„Erst morgen früh. Wir nehmen die erste Postkutsche nach Yorkshire. Wir müssen nämlich sofort nach Wingate Hall.“
Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Aber du sagtest doch, wir würden mindestens zwei Wochen in London bleiben.“
„Ich weiß. Doch es hat sich herausgestellt, daß die Situa- tion sehr viel komplizierter ist, als ich gedacht habe. Es könnte eventuell gar nicht so einfach sein, an mein Erbe zu kom- men.“
Megs Magen hob sich, und kalte Angst griff nach ihr. Stephen hatte ihr versichert, daß sie nur England zu erreichen brauch-
ten, um in Sicherheit zu sein. Dann würde er auch sofort sein Eigentum zurückfordern können.
Er hatte ebenfalls versprochen, gleich nach der Ankunft in London seinen alten Hauslehrer nach Virginia zu schicken, um Josh herüber nach England zu holen. Bis jetzt hatte sie noch keine Spur von dem Reichtum gesehen, mit dem er sich gebrüstet hatte. Das Haus, zu dem sie heute gefahren waren, war höchst beeindruckend gewesen, aber gehörte es ihm wirklich? „Was hat dein Anwalt gesagt?“
Existierte dieser Anwalt überhaupt?
Ihr noch immer auf schwachen Beinen stehendes Vertrauen in Stephen schwand sichtlich dahin.
„Norbury ist nicht in der Stadt, und es hat den Anschein, als wäre auch er in das Komplott gegen mich verwickelt. Der einzige Mensch, dem ich jetzt noch zu trauen wage, ist Rachel. Deswe- gen müssen wir morgen nach Yorkshire. Ich muß sie sprechen.“ Er preßte die Lippen zusammen. „Bitte, Megan, sieh mich nicht so an.“
„Ich kann nicht anders.“ Sie dachte an Josh, der durch den gewaltigen Atlantik von ihr getrennt war. „Du hast versprochen, meinen Bruder nachzuholen, sobald wir in England an Land gehen.“
„Und ich werde mein Versprechen auch halten, so schnell ich nur irgend kann.“
Eine Träne rollte über ihre Wange. „Werde ich ihn je wieder- sehen?“
„Natürlich wirst du das.“ Stephen versuchte sie in die Arme zu nehmen, doch sie wich zurück. Sie wußte nicht mehr, was sie glauben sollte. Wider besseres Wissen hatte sie zugestimmt, Stephen nach England zu begleiten, und nun sah es mehr und mehr danach aus, als wäre sie eine noch größere Närrin, als ihre Mutter es je gewesen war.
Meg war erleichtert, als die Postkutsche endlich das Getümmel und Durcheinander, den Gestank und den Lärm Londons hinter sich ließ und durch entlaubte Wälder und wellige Hügel über die Great North Road in Richtung Yorkshire ratterte.
Was sie nicht hinter sich lassen konnte, war das Geplapper und Geschnatter ihrer Mitreisenden, einer ungemein dicken Frau, die wie ein Wasserfall redete.
Obwohl Meg wieder von Zweifeln an ihrem Mann und seiner Aufrichtigkeit gequält wurde, vermißte sie seine
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