Marlene Suson 2
wie es ihm paßte. Es mußte George gewesen sein. Rachel wäre eher gestorben, als auch nur einen Morgen von Wingate- Grund zu verkaufen. „Ich dachte, das Land gehört dem Earl of Arlington.“
Sam schnaubte verächtlich. „Der ist doch abgehauen, rüber nach Frankreich. Da hat’s ihn erwischt. Danach hatte diese raffgierige Wingate-Schlampe hier das Sagen.“
Stephen war sprachlos vor Entsetzen, als er hörte, wie der Mann von seiner Schwester sprach. Jeder auf Wingate Hall hatte Rachel geliebt und verehrt. Was war nur geschehen?
„Ja, um ein Haar hat sie uns kaputtgemacht“, pflichtete Sams Bruder bei. „Und das Gut gleich mit. Die hat uns alle ausgeblu- tet. Kannst mir glauben, der Herzog und die Herzogin haben alle Hände voll zu tun, um das wieder auszubügeln, was das Weib angerichtet hat.“
Es überraschte Stephen zu hören, daß Westleigh tatsächlich doch noch geheiratet hatte. Er hatte geglaubt, der arrogante Mann würde niemals eine Frau finden, die er seiner für würdig hielt. Was ihn freilich noch mehr überraschte, war der Umstand, daß die Pächter ihm offenbar herzlich zugetan waren.
„Arlington sind wir zum Glück los“, stellte Sam mit einem zufriedenen Grinsen fest. „Hat sich keinen Deut um sein Land gekümmert und ist nicht mal auf ‘ne Stippvisite hergekommen. Der war nur auf seinen Jux in London aus. Seit Gentleman Jack ist der Duke das Beste, was den Leuten hier herum passieren konnte.“
„Gentleman Jack?“ fragte Stephen.
Sams Bruder genehmigte sich einen ausgiebigen Schluck Bier. „Der Straßenräuber, der uns dem Hungertod von der Schippe gekratzt hat, weil diese Schlampe uns so gefleddert hat.“
Zu gern hätte Stephen das Gesicht des hochfahrenden Herzogs gesehen, wenn er gehört hätte, daß man ihn für das Nächstbeste nach einem Straßenräuber hielt! „Wie ist der Duke an Wingate Hall gekommen?“
„Durch Arlingtons jüngeren Bruder. Ist ‘ne Soldatenseele durch und durch und hat keinen Bock auf Landwirtschaft, Gott sei’s getrommelt und gepfiffen.“
Wie konnte Stephens Anwalt das nur zulassen? Er wußte doch von der geheimen Abmachung, daß Wingate Hall an Rachel fiel, wenn George nicht seinen Abschied nahm, um das Gut selbst zu leiten!
Und wie war es möglich, daß Rachel sich dermaßen verändert hatte? Die Frau, die Sam beschrieb, zeigte nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner freundlichen, umsichtigen Schwester. „Wo ist dieses Wingate-Frauenzimmer denn jetzt?“ fragte Stephen mit gepreßter Stimme.
„In der Hölle, wo sie hingehört“, knurrte Sam böse.
„Das kann doch nicht wahr sein!“ stieß Stephen erschrocken hervor.
„Und ob! Wo sonst sollte die Schlampe sein, frag’ ich dich, wo sie sich doch selbst den Garaus gemacht hat“, gab Sam zurück. „ ‘s gab nicht eine Seele, die der nachgeweint hätte, das ist mal sicher.“
Stephen war so erschüttert, daß er kaum noch klar denken konnte.
Wingate Hall verkauft an seinen härtesten Kritiker, den Duke of Westleigh.
Rachel tot durch einen verwerflichen Selbstmord.
War es George irgendwie gelungen, die Pächter so gegen Rachel aufzubringen, daß sie sich in tiefster Verzweiflung umgebracht hatte?
Wenn Stephen offiziell für tot erklärt worden war und West- leigh Wingate Hall im guten Glauben gekauft hatte, würde Stephen es wohl nie zurückbekommen. Und schuld an allem war er ganz allein. Er hatte das Landgut, das über viele Generationen seiner Familie gehört hatte, durch seinen sträflichen Leichtsinn verloren. Er war zu pflichtvergessen gewesen, um heimzukehren und die Verantwortung für sein Erbe auf sich zu nehmen.
„Alles in Ordnung?“ Sams Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
Teufel, nein, nichts war in Ordnung. Nie wieder würde das Leben für ihn in Ordnung sein.
Schwankend stand Stephen auf und hastete hinaus. Er rannte blindlings über den Hof des Wirtshauses und den Hügel hinauf. Er lief und lief, bis er keuchend unter einem Vogelbeerbaum, der wie ein einsamer Wachtposten mitten auf dem Hügel stand, in die Knie sank.
Erst jetzt ging ihm das ganze Ausmaß seiner verzweifelten Lage auf. Alles war verloren – Rachel, sein Heim, sein Erbe. Er hatte nichts mehr, nicht einmal genug Geld, um seiner Frau ein Abendessen zu kaufen.
Er hatte sie hergeschleift, erst nach London und dann nach Yorkshire. Er hatte sich über Megans Zweifel hinweggesetzt und sie überredet, mit ihm zu kommen. Er hatte ihr und Josh den Himmel auf Erden versprochen.
Ein Leben
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