Marlene Suson 2
mager und reizlos, wie sie nun einmal war. Dennoch war Meg fasziniert von den prachtvollen Stoffen – Seide, Samt und Satin in einer reichhaltigen Farbpalette.
Nie hatte Meg in Virginia Modelle mit so ausgefallenen Dra- pierungen und so gefälligem Faltenwurf gesehen. Es waren üppige Kreationen, die mit den feinsten Spitzen, Stickereien, Bändern, Rüschen und Volants aufgeputzt waren. Es waren Ballkleider, die einer Königin würdig gewesen wären.
Jedes einzelne von ihnen versetzte Meg in Entzücken, doch kei- nes fand Gnade vor Stephens Augen. Erwartungsvoll sah sie zu, wie er sie prüfte, doch er verwarf ein Modell nach dem anderen.
Schließlich drehte er eine der Skizzen um und begann auf der
Rückseite etwas zu zeichnen. Mehrere Minuten lang arbeitete er schweigend, während Meg sehnsüchtig ein paar der Modelle betrachtete, die er verworfen hatte. Ganz besonders gut gefiel ihr eine hellblaue Brokat-Toilette, deren Rock großzügig über einen Unterrock aus weißem Satin drapiert und über und über mit Spitzenvolants besetzt war.
Als Stephen fertig war, reichte er der Modistin das Blatt. „So möchte ich es haben.“
Stirnrunzelnd betrachtete sie den Entwurf. „Aber Mylord ...“
„So möchte ich es haben“, wiederholte er fest.
Mißbilligend verzog sie die Lippen. „Aber Mylord, ändern Sie doch wenigstens das Dekolleté. Es sollte eckig sein. Kein Mensch trägt ...“
„Ich will es aber so und nicht anders haben“, schnitt er ihr ungeduldig das Wort ab.
Meg warf einen verstohlenen Blick auf die Zeichnung und konnte nur mit Mühe ihre Enttäuschung hinunterschlucken. Die Skizze, die Stephen aufs Papier geworfen hatte, zeigte ein einfa- ches, schmuckloses Kleid mit einem V-Ausschnitt, dessen Rock weder drapiert noch gerafft war. Auch der Unterrock war nicht annähernd so weit wie die auf den anderen Entwürfen.
Ein reizloses Kleid für eine reizlose Frau. Offenbar wollte er kein Geld an einen hoffnungslosen Fall verschwenden. Das Ge- sicht der Schneiderin verriet Meg, daß sie Stephens Wahl ebenso mißbilligte.
„Und nun zum Material.“ Stephen griff nach den Stoffmustern. Die leuchtenden Satin– und Samtmuster warf er achtlos bei- seite und entschied sich für eine mattgrüne Seide, die neben den lebhaften Farben der anderen Stoffmuster ausgesprochen trist wirkte. Für Mieder und Unterkleid wählte er cremefarbene Seide.
„Meine Frau braucht noch mehr Kleider“, sagte er eifrig und wählte noch eine ganze Reihe weiterer Entwürfe aus. Megs Freude darüber hielt sich jedoch in Grenzen, denn Stephen suchte mit unbeirrbarer Sicherheit die schlichtesten und einfachsten Modelle aus der Kollektion der Modistin aus.
Traurig dachte Meg an Rachels elegante Toiletten, die so viel aufwendiger waren als das, was Stephen für sie bestimmt hatte. Eigentlich konnte er das nicht getan haben, um Kosten zu sparen, denn er hatte ihr bereits eine enorme Summe als „Nadelgeld“, wie er es nannte, für ihre persönlichen Ausgaben zugebilligt.
Rachel kam ins Zimmer. Stephen zeigte ihr die Modelle, die er für seine Frau ausgewählt hatte. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Skizzen. „Aber Stephen, für die Londoner Saison wird sie elegantere Kleider brauchen als diese hier.“
„Ich bringe sie nicht nach London.“
Verblüfft schaute Rachel ihn an. „Nicht? Aber du hast doch noch nie eine Saison verpaßt.“
Er preßte die Lippen zusammen und sagte knapp: „Mit den Kleidern, die ich ausgesucht habe, wird Meg hier in Yorkshire sehr gut zurechtkommen.“
Meg schaute von Rachels erstauntem Gesicht zu dem leicht verdrossen wirkenden ihres Gemahls. Warum will er nicht mit mir nach London? Geniert er sich mit seiner Frau aus den Kolonien, die er unter Zwang geheiratet hat?
Ein dicker Knoten bildete sich in Megs Kehle, und sie fürch- tete, gleich in Tränen auszubrechen. Abrupt drehte sie sich um und hastete zur Tür.
Hinter sich hörte sie Rachel sagen: „Wirklich, Stephen, das Ballkleid, das du für Megan ausgesucht hast, ist nicht ...“
„Ich weiß am besten, was meiner Frau steht“, unterbrach er sie gereizt.
Als Meg schon im Korridor war, rief er ihr nach: „Warte auf mich, Megan!“
Sie blieb stehen und drehte sich um. Er kam zu ihr und nahm ihren Arm. „Du wirst bezaubernd aussehen auf dem Ball, Megan.“
Doch sie wußte, daß es nicht stimmte.
Ein paar Tage später standen Meg und Stephen auf den Stufen des Portals von Wingate Hall und winkten Rachel, Jerome und dem kleinen
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