Marlene Suson 2
Stephen zum Abschied nach. Die Westleighs fuhren heim, um den großen Ball zu Megans Ehren vorzubereiten.
Als die Kutsche sich in Bewegung setzte, rief Rachel durchs Fenster: „Bis bald! In weniger als drei Wochen sehen wir uns auf Royal Elms wieder!“
Mit wachsender Geschwindigkeit rollte die Kutsche davon. „Wie jammerschade, daß sie wegfahren“, stieß Meg inbrünstig hervor. Der Herzog und die Herzogin würden ihr fehlen, be- sonders abends. Die Abende waren immer so unterhaltsam und beschaulich gewesen. Sie hatten miteinander kleine Scharaden
aufgeführt, lange und lebhafte Gespräche geführt oder zusam- men gesungen, wobei Jerome sie auf seiner Gitarre begleitet hatte.
An solchen Abenden hatte Meg sogar die Zweifel und Ängste um die Zukunft ihrer Ehe vergessen können.
Jerome war so nett und freundlich und so besorgt um Meg ge- wesen, daß sie überhaupt nicht verstehen konnte, wieso Stephen ihn den eisigsten, hochnäsigsten Aristokraten von ganz Europa genannt hatte.
Vor der bestechend schönen Herzogin empfand Meg noch im- mer eine gewisse ehrfürchtige Scheu, und der Gedanke, als Herrin von Wingate Hall in ihre Fußstapfen treten zu müssen, machte ihr angst. Jedermann auf dem Gut liebte und verehrte Rachel, und das gewiß mit gutem Grund. Es würde für keine Frau leicht sein, die Lücke zu füllen, die Rachel hinterließ. Und ganz besonders nicht für eine Kolonistin ohne Titel und Stamm- baum, über die selbst die Dienstboten die Nase rümpften. Ihre Gesichter verrieten es, wenn Meg ihnen Anweisungen gab.
„Ich werde Jerome und Rachel schrecklich vermissen“, gestand sie Stephen. „Jetzt muß ich versuchen, Rachel auf Wingate Hall zu ersetzen, und das wird nicht leicht sein.“
„Ich stehe vor der gleichen Aufgabe, denn sowohl Jerome als auch vorher mein Vater haben einen hohen Standard gesetzt. Reizt diese Herausforderung dich denn nicht?“
Nein. Sie entmutigte und erschreckte sie, aber sie würde sich ihr stellen. Entschlossen preßte sie die Lippen zusammen. Sollten die Dienstboten ihr ruhig die kalte Schulter zeigen. Sie würde den Haushalt auf Wingate Hall mit der gleichen Kompetenz lei- ten, die ihr den Stolz ihres Vaters auf Ashley Grove eingebracht hatte. Es würde gewiß nicht einfach sein, doch sie würde es schaffen.
Sie mochte zwar nicht die Frau sein, die Stephen freiwillig gewählt hätte. Sie war nicht attraktiv genug, um einen so char- manten Schwerenöter wie ihn für immer an sich zu binden. Doch an ihrer Leitung des Haushalts würde er nichts auszusetzen haben.
Meg würde ihm beweisen, daß sie als Ehefrau zumindest nicht völlig unbrauchbar war.
26. KAPITEL
Zögernd ging Meg hinunter in den Salon, um ihre ungebetenen Gäste – Lord und Lady Oldfield, wie auf der Karte gestanden hatte – zu empfangen.
Sie wünschte, Stephen wäre zu Haus und nicht irgendwo draußen auf dem Grundstück. Meg hatte keine Ahnung, ob die Oldfields wirklich enge Freunde ihres Mannes waren, wie sie dem Butler gesagt hatten. Oder gehörten sie auch nur zu der Schar von Neugierigen, die lediglich gekommen waren, um die neue Gräfin unter die Lupe zu nehmen.
Die Kunde, daß Lord Arlington mit einer amerikanischen Frau zurückgekommen war, hatte mit erstaunlicher Geschwindigkeit die Runde gemacht. Sie hatte eine überraschend hohe Anzahl aristokratischer Gäste angelockt, die nur vorsprachen, um Meg einer genauen Musterung zu unterziehen und sie zu bekritteln.
Plötzlich hatte Meg das Gefühl, in einem Meer von Einsam- keit und Verlassenheit zu versinken. Sie hatte keine Freunde in diesem fremden Land, wo alle nur auf sie herabschauten, und sie war davon überzeugt, völlig überflüssig zu sein.
Nach Rachels Abreise vor fast zwei Wochen, hatte Meg sich mit großem Elan in ihre neue Aufgabe gestürzt, doch sie hatte sehr bald entdeckt, daß die Leitung eines großen Hauses in England mit Ashley Grove nicht zu vergleichen war. Zum einen hatte sie hier sehr viel mehr Dienstboten, und die waren bei weitem besser geschult. Sie bedurften nicht der ständigen Unterweisung und Überwachung, wofür Meg auf Ashley Grove einen großen Teil ihrer Zeit verwendet hatte. Auf Wingate Hall lief alles wie am Schnürchen, und deshalb fühlte sie sich oft so überflüssig.
Stephen kniete sich mit solchem Tatendurst in seine neue Auf- gabe, daß sie ihn meistens erst am Abend zu Gesicht bekam. Er brannte vor Eifer, der Rolle gerecht zu werden, die er übernom- men hatte, gewann dadurch an Sicherheit
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