Marlene Suson 2
ihrer Schuld gestanden hätte, wäre es unverzeihlich gewesen, sie im Stich zu lassen.
Stephen mußte bleiben, bis Josh wieder gesund war. Dabei durfte es keine Rolle spielen, welchen Preis er dafür zahlen mußte.
Er hoffte inständig, daß die Rasur, der Haarschnitt und die hier übliche Kleidung sein Äußeres so verändert hatten, daß die Männer, die Flynt mit Sicherheit auf seine Spur gehetzt hatte, ihn nicht erkennen würden.
Und wenn er doch erwischt wurde? Nein, daran wollte er gar nicht denken.
Stephen stand von der Bank auf und ging hinein, um Megan seinen Entschluß mitzuteilen. Er freute sich schon auf ihren Gesichtsausdruck, wenn er ihr erzählte, daß er bleiben und ihr helfen würde. Sie hatte zwar versucht, sich nichts anmerken zu lassen, doch er hatte die tiefe Bestürzung auf ihrem Gesicht ge- sehen, als ihr klar wurde, wie lange Josh durch seine Verletzung ausfallen würde.
O ja, Megan würde ihm zutiefst dankbar sein. Ein Lächeln flog über sein Gesicht, als er an die verschiedenen Möglichkeiten dachte, wie Megan ihm ihre Dankbarkeit beweisen könnte.
Als er ins Blockhaus trat, schälte sie gerade Kartoffeln fürs Abendessen. Fragend schaute sie auf, als er auf sie zukam.
„Ich werde morgen nicht fortgehen. Ich kann nicht ein- fach verschwinden und Sie und Josh einfach Ihrem Schicksal überlassen.“
Sie schaute Stephen so verdutzt an, als hätte sie nicht ver- standen, was er ihr sagen wollte. Deshalb erklärte er es ihr noch einmal. „Ich bleibe hier und helfe Ihnen, bis sein Fuß wieder in Ordnung ist.“ Erwartungsvoll sah er sie an.
„Mir helfen?“ fragte Megan in einem Ton, als hätte er ihr die Kronjuwelen versprochen. „Aber Sie können sich ja nicht mal selbst rasieren!“ platzte sie heraus.
Das hatte sie also auch gemerkt. Stephen spürte, wie ihm die Schamröte ins Gesicht stieg. Wie sehr mußte diese Frau, die selbst vor keiner Aufgabe zurückschreckte, ihn verachten.
„Sie wollen Joshs Pflichten übernehmen?“ Megan musterte ihn so skeptisch, daß Stephen sich innerlich wand.
Oh, er würde ihr schon beweisen, wozu er fähig war. Bei Gott, das würde er! Er erinnerte sich daran, daß Josh jeden Abend und jeden Morgen die Kuh molk. Damit wollte er beg- innen. Er griff nach dem leeren Milcheimer, der neben der Tür stand.
„Ich werde jetzt die Kuh melken.“
Megans graue Augen weiteten sich überrascht. „Wissen Sie denn, wie man das macht?“
Natürlich wußte er es nicht, doch schon allein der Ton, in dem die Frage gestellt wurde, kratzte an Stephens Stolz. Er würde diese verdammte Kuh melken oder daran zugrunde gehen. Was konnte schon dabei sein? Schließlich waren die niedlichen jun- gen Stallmägde auf Wingate Hall mit einer ganzen Herde von Milchkühen fertig geworden.
Wenn sie es mit solcher Leichtigkeit konnten, dürfte es für ihn ja wohl auch nicht zu schwer sein. „Natürlich weiß ich das“, knurrte er pikiert.
„Sie müssen die Tiere auch füttern und tränken und den Stall ausmisten“, sagte Josh.
Stephen versteifte sich ein wenig. Der Gedanke, daß ein engli- scher Lord diesen lächerlichen Stall ausmistete, ging ihm gegen den Strich. Irgendwo gab es schließlich Grenzen.
„Ich mache es jeden Abend“, sagte Josh.
„Wie ich sehe, ist mein Stundenplan schon aufgestellt“, mur- melte Stephen ergeben.
Meg sah Stephen nach, wie er energischen Schritts auf die Scheune zuging, den Milcheimer in der Hand. „Vergessen Sie nicht, das Euter und die Flanken der Kuh gut abzuwaschen, bevor Sie sie melken“, rief sie ihm nach.
Sie hätte sich nie träumen lassen, daß er ihr seine Hilfe an- bieten würde. Ihre schlechten Erfahrungen hatten sie gelehrt, daß man sich auf die Männer nicht verlassen konnte. Sie hatten immer versagt, wenn sie sie am nötigsten brauchte.
Trotzdem hatte dieser Mann, dem sie nicht zu vertrauen wagte, freiwillig angeboten, auf der Farm zu bleiben.
Damit hatte er ihre Meinung von ihm völlig auf den Kopf gestellt.
Wenn sie es recht bedachte, konnte er gar nicht so schlecht sein, wie die Narben auf seinem Rücken andeuteten.
Meg konnte sich gut vorstellen, wie wichtig es Stephen war, seine Flucht fortzusetzen. Deshalb war ihr auch klar, was er ris- kierte, wenn er hier auf der Farm blieb. Sie hatte beobachtet, wie er bei plötzlichen Geräuschen zusammenfuhr, weil er Angst davor hatte, von der Vergangenheit eingeholt zu werden.
Sie war tief bewegt und dankbar für seinen Entschluß, obwohl sie fürchtete, daß
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