Marlene Suson 2
Bestürzung nicht anmerken zu las- sen. Josh würde tagelang ausfallen, vielleicht noch länger. Sie schluckte. Sie hatte schon mehr Arbeit, als sie bewältigen konnte, und sie hatte keine Ahnung, wie sie ohne seine Hilfe zurecht- kommen sollte. Stumm kämpfte sie gegen die Verzweiflung an, die sie zu überwältigen drohte.
Mit dem Joch über den Schultern kämpfte sich Stephen den Weg zum Blockhaus hinauf. Er taumelte fast unter dem Gewicht der beiden gefüllten Eimer.
Als er die Hütte betrat, war Megan noch immer über Josh gebeugt und behandelte sein verletztes Fußgelenk. Bei ihrem Anblick mußte Stephen unwillkürlich lächeln. Seit er ihr wun- dervolles Haar gesehen und diesen leidenschaftlichen Kuß mit ihr getauscht hatte, nannte er sie im stillen nur noch Megan.
Der Name paßte viel besser zu ihr. „Meg“ wurde ihr bei weitem nicht gerecht.
Als ihr vorhin zum Bewußtsein kam, daß Josh überfällig war,
hatte sie völlig vergessen, ihre Haube aufzusetzen. Stephen hatte sie heimlich wieder an den Nagel gehängt, bevor sie sich auf die Suche nach dem Jungen gemacht hatten.
Meg verwöhnte ihn mit ihrem strahlenden Lächeln, als sie ihm für das Wasser dankte. Dann wandte sie sich wieder ihrem Bruder zu.
Es war für sie und Stephen nicht leicht gewesen, den Jungen ins Blockhaus zurückzubringen. Sie hatten ihn in die Mitte ge- nommen und fast tragen müssen. So, wie die Verletzung aussah, würde er mehrere Tage nicht auftreten können.
Stephen setzte die Wassereimer neben dem Kamin ab. Nach- dem er sie selbst heraufgeschleppt hatte, überraschte es ihn, daß ein so schmächtiger Hering wie Josh das täglich fertigbrachte.
Wenn er an all die Arbeit dachte, die auf der Farm getan wer- den mußte, war ihm klar, daß Megan sie allein nicht schaffen konnte. Selbst mit Joshs Hilfe war es ja kaum möglich und ohne ihn völlig ausgeschlossen. Ohne Joshs Hilfe könnte ich hier nicht bestehen.
Nein, das konnte sie wirklich nicht. Sie ackerte ja schon jetzt von früh bis spät. Stephen dachte daran, wie schmal und zer- brechlich Megan wirkte. Sie konnte unmöglich diese schweren Wassereimer zum Blockhaus hinaufschleppen.
Stephens Blick fiel auf den Kamin, und er erinnerte sich an Joshs Versprechen, nach seiner Rückkehr Holz zu hacken. Daraus würde in den nächsten Tagen wohl nichts werden. Stephen drehte sich um und ging wieder hinaus. Megan würde es zwar nicht zugeben, doch sie brauchte eindeutig die Hilfe eines Mannes.
Deshalb würde er nicht wie geplant am nächsten Morgen auf- brechen können. Es war undenkbar, sie in dieser Situation allein zu lassen. Er mußte bleiben und ihr helfen, bis Josh wieder auf den Beinen war.
Abrupt blieb er stehen. Hatte er jetzt endgültig den Verstand verloren? Er durfte ja nicht einmal daran denken, noch länger hierzubleiben!
Er mußte fliehen, und er mußte es sofort tun. Wenn nicht, würde man ihn aufspüren und in Ketten zu Flynt zurückschlei- fen.
Stephen hatte gesehen, was Flynt den armen Seelen antat, die wieder eingefangen wurden. Er durfte gar nicht daran denken.
Wenn dieser Menschenschinder ihn erst wieder in den Fängen
hatte, gab es keine Hoffnung mehr für ihn, nach England zu- rückzukehren und sich an seinem unbekannten Feind zu rächen.
Und Flynt war äußerst hartnäckig, wenn es darum ging, sein Eigentum wiederzubeschaffen. Die Belohnungen, die er für ent- flohene Sklaven aussetzte, waren so hoch, daß bisher noch jeder wieder eingefangen worden war. Das Schicksal, das den Ärmsten dann erwartete, war so schrecklich, daß keiner mehr zu fliehen versuchte.
Außer Stephen.
Und kein einziger hatte die Flucht zum zweitenmal gewagt.
Stephen konnte es einfach nicht riskieren, wieder eingefangen zu werden. Und das würde er sicher, wenn er noch länger hier- blieb. Er konnte nicht bleiben, so gern er Megan auch unterstützt hätte. Er mußte weiter.
Doch der Gedanke, sie zu verlassen, obwohl sie ihn so nötig brauchte, brachte ihn fast um.
9. KAPITEL
Stephen saß draußen auf der Bank neben der Tür des Blockhau- ses und hörte von drinnen Megans tröstende Stimme, während sie mit ihrem verletzten Bruder sprach.
Megan war so ganz anders als die unselbständigen, törichten Schönheiten, für die er sich in seinem früheren Leben interessiert hatte. Trotzdem hatte er das Bedürfnis, sie zu beschützen. Dieses Gefühl hatte er früher nie gehabt, nicht einmal für Lady Caro- line Taber, seine charmante Mätresse, die nach seiner Schwester
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