Marlene Suson 3
gehörte gewiß nicht zu den Männern, mit denen Morgan Konversation zu machen pflegte. Deshalb unterhielt er sich wäh- rend des ersten Ganges ausschließlich mit Daniela und George Fleming, der ihnen gegenüber saß.
Im Gegensatz zu Fletcher und Beard war Fleming, der Sohn des Squire, ein angenehmer, sympathischer Mann. Morgan er- fuhr im Laufe der Unterhaltung, daß der junge Fleming sich gerade anschickte, als Friedensrichter in die Fußstapfen sei- nes Vaters zu treten. Er würde gewiß ein guter Friedensrichter sein.
Neben Flemings Frau Charlotte saß William Enright, der den Blick offenbar nicht von Lady Elizabeth losreißen konnte. Mor- gan empfand Mitleid mit Enrights schwangerer Frau, die ihn mit einem unglücklichen, verletzten Gesichtsausdruck beobachtete.
Sir Waldo, der zur Linken seines Gastgebers saß, hielt den Diener in Atem, der die Weingläser nachfüllte. Immer wieder versuchte Fletcher, Danielas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch sie ignorierte ihn beharrlich. Er schien sich viel mehr für
Daniela zu interessieren als für die schöne Lady Elizabeth, die ihm gegenüber neben Basil saß.
Morgan dachte darüber nach, wie auffällig Basil sich bemüht hatte, ihn von Daniela wegzulotsen. Mit großer Wahrscheinlich- keit beabsichtigte er, Daniela mit Fletcher zu verheiraten. Es sähe diesem Bastard ähnlich, Daniela einem Mann auszuliefern, den sie haßte. Vielleicht verschaffte es ihm sogar ein besonderes Vergnügen. Was mochte nur der Grund für Basils Feindseligkeit seiner Schwester gegenüber sein?
Als die Spargelsuppe abgetragen wurde, fragte Beard Mor- gan: „Hat Gentleman Jack Ihnen den gleichen Empfang in Warwickshire bereitet wie mir?“
Morgan hörte, wie Daniela scharf den Atem einsog, doch er zuckte nicht mit der Wimper. Er beantwortete Beards Frage mit einer Gegenfrage: „Hat er Sie ausgeraubt?“
„Er hat mich um siebenhundert Pfund und meinen Brillantring erleichtert.“
Das hast du auch redlich verdient, dachte Morgan. Im stillen beglückwünschte er Daniela, weil sie sich so ein passendes Opfer ausgesucht hatte.
„Ich hätte wetten mögen, daß die prachtvolle Kutsche Ihres Bruders seine Aufmerksamkeit erregen müßte.“ Es schien Beard zu verdrießen, daß Morgan nicht ebenfalls ausgeraubt worden war. „Wie man mir sagte, war ich in den vergangenen drei Monaten schon sein fünftes Opfer in dieser Gegend.“
Beard schaute zu Basil hinüber. „Wenn sie Gentleman Jack nicht bald einfangen und aufknüpfen, werden deine Freunde es nicht mehr wagen, dich zu besuchen, Basil. Das Risiko ist einfach zu groß.“
„Und ich sage Ihnen, daß Gentleman Jack tot ist“, verkündete Fletcher mit dröhnender Stimme. Sein Gesicht war vom Wein gerötet. „Dieser verdammte Straßenräuber, der die Gegend hier unsicher macht, ist ein Schwindler.“
5. KAPITEL
Ein erstickter Laut entfuhr Daniela. Morgan sah, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Zum Glück bemerkte es niemand außer ihm, denn alle sahen Fletcher an.
„Man erzählt sich, Gentleman Jack sei vor drei Jahren in Yorkshire verschwunden“, sagte George Fleming. „Angeblich wurde er dort von seinem letzten Opfer niedergeschossen und getötet.“
„Genau!“ röhrte Fletcher. „Und dieses letzte Opfer war ich. Ich habe ihn erschossen.“
„Sie? Sie wollen Gentleman Jack erschossen haben?“ fragte Daniela geringschätzig. „Ich habe Ihre Schießkünste gesehen, Sir. Ihre Kugel hätte ihn nicht einmal gestreift.“
Ihre unverhohlene Verachtung trieb Sir Waldo eine noch dunk- lere Röte in das schon hinlänglich erhitzte Gesicht. „Sie belei- digen mich, Lady Daniela. Gentleman Jack hat versucht, mich auszurauben, und ich habe auf ihn geschossen. Ich bin sicher, ihn tödlich getroffen zu haben. Deshalb hat es auch seitdem keinen Überfall mehr gegeben.“
„Sie können ihn nicht getötet haben.“ Daniela schien den Tränen nahe zu sein.
Verwundert fragte sich Morgan, weshalb ihr Gentleman Jacks Schicksal so am Herzen lag.
„Ich versichere Ihnen, daß ich es doch tat“, brüstete Fletcher sich mit schwerer Zunge. Vor langer Zeit einmal hatte Rachel Morgan erzählt, daß Sir Waldo seinen Mut im Weinglas fand. Offensichtlich hatte sie recht. „Das ist auch der Grund, wes- halb dieser Lump seit genau jener Nacht von der Bildfläche verschwunden ist. Ich habe ihm das Lebenslicht ausgeblasen.“
Das war nicht der Grund für das Verschwinden des legendä- ren Straßenräubers. Morgan kannte die wahren
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