Marlene Suson 3
Und es hatte ihn gerührt, daß sie nicht nur Gentleman Jacks Rolle, sondern auch seine Ideale übernommen hatte, den Armen zu helfen.
Aber sagte sie in diesem Punkt auch die Wahrheit?
Er lächelte Ferris zu. „Ich freue mich schon auf die Heraus- forderung, sie zu identifizieren, ohne ihr Gesicht gesehen zu haben.“
„Und wenn es Ihnen nicht gelingt? Vielleicht erkennen Sie sie nicht wieder, wenn Sie ihr begegnen.“
„O doch, das werde ich.“ Ja, dessen war Morgan sicher. Wenn nicht an ihrer ungewöhnlichen Größe oder an dem wundervollen Haar, das ihr bis auf die Schultern herabfiel, so doch bestimmt an dem Jasminduft, der ihn eingehüllt hatte, als er sie küßte. „Ich wette, ich muß gar nicht weit gehen, um sie zu finden. Mit großer Wahrscheinlichkeit lebt sie hier in der Gegend. Eine Frau kann nicht so unbeschränkt reisen wie ein Mann. Das würde viel zu sehr auffallen.“
Vielleicht war sie auch zu dem Ball geladen, der morgen abend auf Greenmont stattfinden sollte. Ihre kultivierte Ausdrucks- weise ließ vermuten, daß sie von gehobener Herkunft war. Und Basil Winslow, Viscount Houghton, Morgans ehrgeiziger Gast- geber, hatte gewiß alles eingeladen, was in dieser Gegend Rang und Namen hatte.
Bei dem Gedanken an ihre Reaktion, wenn sie ihm auf dem Ball begegnete, mußte Morgan lächeln. Zu welchen Zugeständ- nissen würde sie wohl bereit sein, um ihn dazu zu bringen, ihr Geheimnis zu wahren?
Dabei hatte er gar nicht die Absicht, sie zu verraten, doch das mußte er ihr ja nicht unbedingt anvertrauen.
Morgan war aus zwei Gründen nach Warwickshire gekommen. Er wollte erstens dem falschen Gentleman Jack das Handwerk legen, und zweitens war er in geheimer Mission für King Ge- orge II. unterwegs. „Hoffentlich kann ich den Auftrag des Kö- nigs ebenso rasch erledigen, wie ich diesen ominösen Gentleman Jack gefunden habe“, sagte er nachdenklich.
Doch der Auftrag des Königs war vermutlich viel gefährli- cher und komplizierter. Morgan sollte herausfinden, wer in War- wickshire eine Jakobiter-Verschwörung finanziell unterstützte, die King George vom Thron stoßen wollte, um die Krone Eng- lands für die Stuarts zurückzuerobern. „Bis heute dachte ich, daß die eine Sache mit der anderen zu tun hätte.“
„Wie das?“ fragte Ferris.
„Ich hatte den Verdacht, daß die Beute aus den Überfällen dazu verwendet würde, die Jakobiter zu unterstützen. Aber nachdem
ich unseren Straßenräuber nun kennengelernt habe, bezweifle ich das.“
„Warum? Sie haben sie doch gar nicht über ihre politischen Ansichten befragt.“
Morgan lächelte. „Das werde ich tun, wenn ich ihr das nächstemal begegne.“
„Wenn Sie ihr begegnen.“
„Keine Sorge, das werde ich. Die Dame wird mir nicht
entkommen.“
Der Ruf einer Eule hallte aus dem Geäst der dichten Bäume, unter denen „Gentleman Jack“ sich verborgen hatte, bevor er die Kutsche anhielt.
Morgan schaute sich um und mußte zugeben, daß der Platz gut gewählt war. Unmittelbar vor dieser Stelle bog die Straße um eine Kurve, die die Sicht nach vorn verhinderte. Es war der ideale Ort für einen Überfall. Morgan selbst hätte ihn nicht besser aussuchen können.
Noch vor einer kurzen Weile hatte der fast volle Mond hell und klar am Himmel gestanden. Jetzt allerdings zogen Wolken auf und verdeckten Mond und Sterne.
„Wir sollten jetzt lieber weiterfahren“, sagte Morgan. „Lord Houghton wird nicht begeistert sein, wenn wir erst im Morgen- grauen vor seiner Tür stehen. Dabei fällt mir ein, es ist nicht einmal seine Tür, doch wie man hört, spielt er sich allenthalben als Besitzer auf.“
Aus Morgans Stimme konnte man deutlich die Abneigung ge- gen seinen Gastgeber heraushören. Er hatte sich für den Viscount nie erwärmen können. Er wußte selbst nicht genau, weshalb, denn Basil war ihm gegenüber stets von ausgesuchter Liebens- würdigkeit ... Vielleicht gerade deshalb. Vielleicht lag es aber auch an der Gesellschaft, mit der Houghton sich umgab. Seine Freunde waren in Morgans Augen eine fragwürdige, zwielichtige Bande.
„Wem gehört Greenmont denn?“ fragte Ferris.
„Es gehört noch immer Houghtons Vater, dem Earl of Crofton. Doch als dessen Sohn und Erbe hat Basil jetzt das Sagen, seit- dem der Earl nach einem Unfall gelähmt ist. Seit diesem Unfall hat Crofton seinen ständigen Wohnsitz in Bath, weil er hofft, das Wasser der dortigen Heilquelle könnte ihn wieder gesund machen.“
„Sie mögen Lord Houghton
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