Marlon, die Nummer 10
Ärzte. Einer von denen, die so ernst dreingeschaut hatten. Und das tat er noch immer.
„Deine Mutter hat Recht!“, sagte er. „Du hast mehr als Glück gehabt, Marlon.“
Mir stockte der Atem. Aus seinem Mund klang das Wort Glück so, als würde man mir einen Amboss um den Hals binden, bevor man mich in den Fluss wirft. Doch der Amboss kam noch. Der Arzt holte einen Helm hinter dem Rücken hervor. Es war der mit dem Wilde-Panther-Logo darauf.
„Du hättest tot sein können!“, erklärte er mir und seine Stimme klang so eiskalt wie Stahl. Er zeigte mir den Riss, der in dem schwarzen Fieberglas klaffte, und dann brach er beide Hälften mühelos auseinander.
„Aber du hast nur eine Gehirnerschütterung, Marlon.“
Ich biss mir vor Schreck auf die Zunge. Ich wollte nicht undankbar sein. Aber was war mit der Weltmeisterschaft? Ich musste in sechs Wochen spielen.
„Was heißt hier ,nur‘?“, fragte ich und blitzte ihn an. „Eine Gehirnerschütterung dauert doch keine acht Wochen.“
„Das stimmt“, nickte der Arzt. „Aber ein Kreuzbandanriss. Den kann man erst operieren, wenn du nicht mehr wächst.“
„Heißt das, ich darf nicht mehr Fußball spielen?“, flüsterte ich.
„Das musst du wissen!“, sagte der Arzt und seine Stimme wurde von Wort zu Wort kälter. „Wenn du weiterspielst, riskierst du, dass das Kreuzband irgendwann reißt. Und dann verbringst du nicht nur die nächsten acht Wochen, sondern die nächsten Jahre auf Krücken.“
Ich starrte ihn an. Ich wollte was sagen. Doch ich hatte überhaupt keine Kraft. Ich sackte zusammen. Ich legte meinen Kopf auf den Schoß meiner Mutter und begann ohne Tränen zu weinen. Mir war plötzlich eiskalt. Doch diese Kälte kam nicht vom Arzt. Sie war in mir drin.
„Rocce ist draußen“, hörte ich meine Mutter jetzt sagen und es klang, als wäre sie hundert Meter entfernt. „Soll ich ihn rufen?“
„Nein!“, sagte ich. „Ich will ihn nicht sehen.“
Pinguin-Fußball
Als es dunkel wurde, ließen mich meine Eltern allein. Dreimal versuchten sie, sich von mir zu verabschieden, doch ich sagte kein Wort. Ich lag auf dem Bett und starrte gegen die Decke. Ich rührte mich nicht. Um halb neun ließ die Narkose in meinem rechten Bein nach. Mein Schienbein schmerzte jetzt höllisch. Es forderte die Gehirnerschütterung zu einem Wettkampf heraus, doch mich ließ das kalt. Ich war kalt. Ich hatte alles gehabt, wovon ein Junge nur träumt, und ich hatte alles verloren. Ich war aus den Wolken in die Hölle gefallen und ich war dort zerschellt. Marlon, die Nummer 10, existierte nicht mehr und weil das so war, existierte das Wilde Land auch nicht mehr für mich. Die Wilden Fußballkerle , der Teufelstopf , die Dimension Acht und die Weltmeisterschaft waren mit ihm wie Atlantis versunken. Ich ballte die Fäuste. Ich weinte Tränen, die ich längst nicht mehr hatte. Ich spürte die Kälte in meiner Brust. Ich spürte den Hass und mit diesem Hass schlief ich ein.
Ich schlief ein und fiel in eine Wüste aus Eis. Es war Nacht. Sturmwolken jagten über den Himmel. Sie sahen wie Orkas und Narwale aus, die in einer Schlacht gegeneinander kämpften. Der Wind heulte und pfiff. Er wehte Eiszapfen in mein Gesicht. Da hörte ich Stimmen. Ich versteckte mich sofort unter einer Decke aus Schnee. Ich wollte nicht, dass sie mich entdeckten. Doch sie achteten gar nicht auf mich. Die Pinguine lachten und watschelten über mich drüber. Sie flachsten untereinander und sie klatschten mit ihren Stummelflügeln High Fives.
„Hey! Alles ist gut!“, schnatterten sie.
„Ja, solange du wild bist!“
„Los! Sei gefährlich und wild!“
Ich rieb meine Augen. Ich kniff mir dreimal in die Wange! Ich wollte es einfach nicht glauben. Aber diese seltsamen Vögel trugen das Wilde Kerle -Logo auf ihrer Brust. Und auf ihrem Rücken standen Namen und Nummern, so wie auf echten Trikots. Und dann sah ich den Pinguin mit der Coca-Cola-Glas-Brille und dann auch noch den mit dem Irokesenhaarschnitt. Der leuchtete feuerrot in der Nacht.
„Beim flie-ha-hiegenden Eskimokajak!“, schnatterte er. „Leon! Fangen wir an!“
„Ja, Kreuz-Yeti und Kümmel-Yak!“, rief ein anderer und schob sich die Sherlock-Holmes-Mütze aus der Stirn. „Worauf warten wir noch?“
Leon, der Pinguin, griff in die Luft. Er fing drei Eiszapfen auf, als ob es Schneeflocken wären, und formte aus ihnen einen gläsernen Ball.
„Fabi, Felix, Maxi, Markus, Rocce!“, teilte er die Mannschaften ein. „Ihr spielt
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