Marlon, die Nummer 10
den Fingern.
„Siehst du? Was hab ich gesagt!“, triumphierte ich bitter. „Und jetzt lass mich bitte allein.“
Willi nickte. Er schaute zur Tür. Er machte einen Schritt auf sie zu, dann einen zweiten und dritten. Er kämpfte mit irgendwas ganz tief in sich drin. Er schwitzte und atmete schwer. Er hielt die Türklinke bereits in der Hand. Da drehte er sich doch noch mal zu mir um.
„Du hast Recht“, sagte er heiser. „Ich verlange da was von dir, was ich selbst nicht geschafft hab.“
Er ließ die Türklinke los.
„Aber ich wünschte mir, ich hätte noch mal die Chance. Dann würde ich es todsicher versuchen.“
Willi schluckte. Er kam zwei Schritte zu mir zurück. Mehr wagte er nicht. „Bitte, sag jetzt nichts. Hör mir einfach nur zu. Ich hab mich damals genauso verhalten wie du. Und ich war schon 16. Der Vater vom Dicken Michi hatte mein Knie ruiniert und alle Ärzte haben mir das bestätigt. An Fußball war nicht mehr zu denken und ich hab es zu gerne geglaubt. Mein Hass und mein Selbstmitleid haben mir das jeden Tag weisgemacht. Und als ich zehn Jahre später erfuhr, dass ich doch noch eine Chance gehabt hätte, als man mir sagte, dass man mein Knie hätte heilen können, war es dafür zu spät. Da hab ich schon im Wohnwagen hinter dem Kiosk gelebt.“
„Aber dort haben wir dich als Trainer gefunden!“, widersprach ich. „Ohne dich gäb’ es die Wilden Fußballkerle gar nicht.“
„Das stimmt“, nickte Willi. „Das war mein Glück. Doch die 24 Jahre davor waren die Hölle.“
Ich drehte mich zu ihm um und setzte mich auf.
„Und weißt du warum?“, fragte er mich.
Willi wartete, bis ich nickte. „Genau. Wegen dem Hass.“
Ich biss mir auf die Lippen.
„Verfluchte Hacke, Marlon, verstehst du, was ich dir sagen will?“ Willi trat nervös auf der Stelle. „Marlon! Am Anfang hab ich nur den Vater des Dicken Michi gehasst, doch dann hasste ich mich.“ Willi wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ja, und dann, ganz am Ende, hab ich mich nur noch verachtet.“
Willi schaute mich an. Er hoffte, dass ich ihn verstand, doch ich dachte nur: „Mann, sieht der armselig aus.“ Und das war mir absolut peinlich.
„Und?“, fragte ich kalt. „Was hat das mit meinem Kreuzbandanriss zu tun?“
„Das ist doch ganz einfach!“, überhörte Willi den Spott. „Wir wollen dir helfen. Kapierst du das nicht? Es gibt keinen Grund dafür, dass du dich hier versteckst. Wir sind deine Freunde, hörst du! Gerade Rocce ist das!“
„Rocce ist schuld an allem!“, fiel ich ihm ins Wort.
„Aber er braucht deine Hilfe“, konterte Willi. „Nein, wir brauchen dich alle.“
Seine Augen leuchteten wieder. Er sah mich erwartungsvoll an. Er hoffte doch wirklich, dass ich ihm diesen Quatsch glaubte.
„Ich lache mich tot“, sagte ich. „Ihr gewinnt doch eh jedes Spiel.“
„Aber nur knapp! Ganz knapp!“, bemühte sich Willi. „Gegen Deisenhofen hätten wir beinah verloren. Wir lagen mit null zu drei Toren zurück.“
„Aber ihr habt es geschafft!“, hielt ich ihm vor.
Da stutzte Willi. Das Leuchten in seinen Augen erlosch.
„Was heißt das?“, hakte er nach. „Wolltest du etwa, dass wir verlieren?“
Er war richtig entsetzt.
„Marlon! Ich hab dich etwas gefragt!“
„Und wenn das so wär?“, schoss ich zurück.
Ich blitzte ihn an und ich schämte mich keine Sekunde. Ich genoss es sogar, wie es Willi die Sprache verschlug. Er stand da. Er suchte zuerst eine Antwort und dann seinen Hut. Er hob ihn vom Boden und setzte ihn auf. Dann hinkte er langsam zur Tür. Dort blieb er stehen.
„Du wärst jetzt gern tot“, sagte er leise. „Habe ich Recht?“ Er drehte sich nicht zu mir um.
Ich ballte die Fäuste. Meine Hände waren plötzlich ganz kalt.
„Aber das bist du nicht, Marlon“, flüsterte Willi. „Du hast dich nur selbst lebendig begraben.“
Dann ging er hinaus. Er zog die Tür hinter sich zu und die klackte leise, aber ohrenbetäubend ins Schloss.
Wilde Kerle in Gefahr
Von diesem Tag an hörte ich nichts mehr von den Wilden Fußballkerle n und Willi. Nur über Rocce hörte ich was. Am Freitag, vor dem Spiel gegen die SpVg Unterhaching , dem letzten Heimspiel im Teufelstopf . Sie brachten es in den Sportnachrichten im Radio. Der große Giacomo Ribaldo wollte den FC Bayern nach knapp einem Jahr schon wieder verlassen. Er reiste zum Wochenende in die Türkei, um dort mit einem neuen Verein zu verhandeln. Seine Familie begleitete ihn.
„Giacomo“, fragte der
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