Mars Trilogie 1 - Roter Mars
Elektrizität blieb aus, und ebenso schnell wurde aus der Stadt eine zertrümmerte Schale voller rennender Gestalten in Schutzanzügen und mit Helmen, die umherrannten und sich an den Toren zusammendrängten, umgeworfen durch Windstöße oder Rempeleien. Überall platzten Fenster heraus, und die Luft war voller Plastiksplitter. Nadia, Maya, Ann, Simon und Yeli verließen das Rathaus und kämpften sich durch die Mengen zum Osttor durch. Dort herrschte großes Gedränge, weil die Schleuse offen war und sich manche Leute hindurchquetschten. Das war eine tödliche Situation für jeden, der unter die Füße geriet; und wenn die Schleuse irgendwie blockiert war, könnte das für einen jeden tödlich werden. Und dennoch ging alles lautlos vonstatten, mit Ausnahme von Helmkommunikation und einigen Explosionen im Hintergrund. Die Ersten Hundert hatten ihre alte Frequenz eingeschaltet, und durch die Statik und äußeren Lärm drang die Stimme Franks: »Ich bin jetzt am Osttor. Löst euch aus dem Gedränge, damit ich euch finden kann!« Seine Stimme war leise und sachlich. »Beeilt euch, draußen vor der Schleuse passiert etwas!«
Sie arbeiteten sich aus der Menge heraus und sahen Frank gerade diesseits der Wand, wie er eine Hand über dem Kopf schwenkte. »Los, kommt her!« sagte die entfernte Gestalt ihnen in die Ohren. »Seid keine solchen Schafe! Es hat keinen Sinn, sich wie in einer Zahnpasta-Tube zusammen quetschen zu lassen, wenn die Kuppel nicht mehr heil ist. Wir können uns überall hindurchschneiden, wo wir wollen. Laßt uns direkt zu den Flugzeugen gehen!«
»Das habe ich ja gesagt«, fing Maya an, aber Frank fuhr sie an: »Halt den Mund, Maya! Wir konnten nicht gehen, ehe sich etwas Derartiges ereignete. Erinnerst du dich?«
Es war jetzt kurz vor Sonnenuntergang. Die Sonne drang durch eine Lücke zwischen Pavonis und der Staubwolke und beleuchtete die Wolken von unten in einem infernalischen Schauspiel violetter Marsfarben. Sie warf ein teuflisches Licht auf das Menschengewühl. Und jetzt strömten Gestalten in Tarnuniformen durch Risse in der Kuppel herein. Draußen waren große Shuttle-Busse vom Raumhafen geparkt, aus denen noch mehr Truppen quollen.
Sax tauchte aus einer Gasse auf. »Ich glaube nicht, daß wir zu den Flugzeugen gelangen können«, sagte er.
Eine Gestalt im Schutzanzug und mit Helm erschien aus dem Dunkel. Sie sagte auf ihrer Frequenz: »Los, folgt mir!«
Sie starrten den Fremden an. Frank fragte: »Wer bist du?«
»Folgt mir!« Der Fremde war ein kleiner Mann, und hinter seiner Gesichtsscheibe konnten sie ein wildes Grinsen erkennen. Ein braunes, schmales Gesicht. Der Mann ging in eine Gasse, die zur Medina führte, und Maya folgte ihm als erste. Überall liefen Leute mit Helmen herum. Die ohne Helme waren tot oder sterbend auf dem Boden hingestreckt. Man konnte durch die Helme Sirenen hören, sehr schwach; und es gab dröhnende Vibrationen unter den Füßen, irgendwelche seismische Erschütterungen. Aber davon abgesehen, verlief die ganze hektische Aktivität in Stille, nur unterbrochen durch das Geräusch ihres Atems und ihre Stimmen gegenseitig in den Ohren. »Wohin?« - »Sax, bist du da?« - »Er ist dorthin gegangen!« und so fort. Eine seltsam intime Konversation in Anbetracht des düsteren Chaos, in dem sie sich abspielte. Als sie sich umschaute, trat Nadia fast auf den Kadaver einer Katze, die im Gras lag, als ob sie schliefe.
Der Mann, dem sie folgten, schien auf ihrer Frequenz eine Melodie zu summen, ein kleines bum, bum, badum-dum-dum. Vielleicht Peters Thema aus >Peter und der Wolf<. Er kannte die Straßen von Cairo gut, bog in dem Labyrinth ab, ohne zu zögern, und führte sie in weniger als zehn Minuten zur Stadtmauer.
An der Mauer blickten sie durch das verzogene Gewebe der Kuppel. Draußen im Dunkel rannten Gestalten in Schutzanzügen allein oder in Gruppen zu zweit oder dritt davon, in einer Art Brownscher Molekularbewegung auf den Südrand von Noctis zu. »Wo ist Yeli?« rief Maya plötzlich.
Niemand wußte es.
Dann machte Frank ein Zeichen. »Schaut!«
Im Osten war auf der Straße eine Anzahl Rover aus Noctis Labyrinthus erschienen. Es waren sehr schnelle Wagen von unbekanntem Aussehen, die ohne Scheinwerfer aus dem Dunkel auftauchten.
»Wohin jetzt?« fragte Sax. Er wollte sich fragend an den Führer wenden, aber der Mann war weg, in den Gassen verschwunden.
Eine Stimme sagte: »Ist das noch die Frequenz der Ersten Hundert?«
»Ja!« antwortete Frank. »Wer
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