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Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Titel: Mars Trilogie 1 - Roter Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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weniger. Bald würde sie taub sein. Sie würde aufpassen müssen, daß nicht die ganze Hand erfror! Erschrocken wollte sie sie wieder in ihren Schoß ziehen. Dann waren Leute da, hoben sie hoch, und sie verlor das Bewußtsein.
     
    Danach war sie verstümmelt. Nadia-mit-den-neun- Fingern, nannte Arkady sie am Telefon. Er schickte ihr Zeilen von Jewtuschenko, die er zur Trauer um den Tod von Louis Armstrong geschrieben hatte: »Mach weiter so, wie du es in der Vergangenheit getan hast , und spiele.«
    »Wo hast du das gefunden!« fragte ihn Nadia. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß du Jewtuschenko liest.«
    »Doch, natürlich lese ich ihn. Das ist besser als Mc- Gonagall! Nein, das war in einem Buch über Armstrong. Ich habe deinen Rat befolgt und ihm bei unserer Arbeit gelauscht und kürzlich abends einige Bücher über ihn gelesen.«
    »Ich wünschte mir, du könntest hier herunterkommen«, sagte Nadia.
    Vlad hatte die chirurgische Arbeit geleistet. Er sagte ihr, es würde alles gut werden. »Es hat dich sauber erwischt. Der Ringfinger ist etwas geschädigt und wird wahrscheinlich so funktionieren wie früher der kleine Finger. Aber Ringfinger werden ohnehin nicht sehr beschäftigt. Die zwei wichtigsten Finger werden so kräftig sein wie eh und je.«
    Jedermann kam zu Besuch. Nichtsdestoweniger sprach sie mit Arkady mehr als mit jemandem sonst, wenn sie in der Nacht allein war, in den viereinhalb Stunden, in denen Phobos von West nach Ost über den Himmel zog. Er rief zuerst fast jede Nacht an und später noch öfter.
    Recht bald war sie wieder auf und unterwegs, die Hand in einem Gipsverband, der verdächtig leicht war. Sie machte sich auf, um Störungen zu beheben oder Ratschläge zu erteilen, in der Hoffnung, ihren Geist beschäftigt zu halten. Michel Duval kam niemals vorbei, was ihr merkwürdig erschien. Waren Psychologen nicht zu so etwas da? Sie konnte nicht umhin, sich deprimiert zu fühlen. Sie brauchte ihre Hände für ihre Arbeit, sie pflegte mit den Händen zu arbeiten. Der Verband war hinderlich, und sie schnitt den Teil um das Handgelenk herum ab mit einer Schere aus ihrer Werkzeugsammlung. Aber wenn sie draußen war, mußte sie die Hand und den Verband in einem Futteral tragen, und es gab nicht viel, das sie ausrichten konnte. Es war wirklich deprimierend.
    Es kam der Samstag abend, und sie saß in dem kürzlich gefüllten Strudelbad, genoß ein Glas schlechten Weins und sah ihren Kameraden zu, die in ihren Badeanzügen planschten und naß wurden. Sie war keineswegs die einzige Verletzte. Sie waren jetzt alle ein wenig angeschlagen nach so vielen Monaten körperlicher Arbeit. Fast jeder hatte Erfrierungsnarben, Flecken schwarzer Haut, die sich schließlich ablöste und neue hinterließ - rosa, häßlich und in der Wärme der Bäder empfindlich. Und etliche andere Personen hatten Gipsverbände an Händen, Fußgelenken, Armen und sogar Beinen. Alles wegen Brüchen oder Zerrungen. Sie konnten sich eigentlich glücklich schätzen, daß es noch keine Toten gegeben hatte.
     
    All diese Körper und keiner für sie. Sie dachte, daß sie sich kannten wie eine Familie. Sie waren füreinander Ärzte, schliefen in den gleichen Räumen, zogen sich in den gleichen Schleusen an, waren gleich gekleidet und badeten zusammen. Eine unauffällige Schar menschlicher Tiere, augenfällig in der trägen Welt, die sie bewohnten, aber eher tröstend als erregend - zumindest die meiste Zeit. Körper mittleren Alters. Nadia war rund wie ein Kürbis, eine plumpe, zähe, muskulöse Frau, vierschrötig und dennoch rundlich. Und allein. Ihr bester Freund in diesen Tagen war nur eine Stimme in ihrem Ohr, ein Gesicht auf dem Bildschirm. Wenn er von Phobos herunterkäme... Nun, schwer zu sagen. Er hatte eine Menge Freundinnen auf der Ares gehabt, und Janet Blyleven war zum Phobos gegangen, nur um bei ihm zu sein...
    Die Leute stritten sich wieder, dort in dem seichten Planschbecken. Ann, groß und eckig, bückte sich, um Sax Russell kurz etwas zu sagen. Wie gewöhnlich schien er nicht hinzuhören. Sie würde ihm eines Tages einen Schlag versetzen, wenn er nicht aufpaßte. Es war merkwürdig, wie sich die Gruppe wieder veränderte und wie sie sich anders anfühlte. Sie konnte sich nie ihrer sicher sein. Die reale Natur der Gruppe war eine Sache für sich, mit Eigenleben, irgendwie unterschieden von den Charakteren der Individuen, die sie bildeten. Das mußte Michels Beschäftigung als ihrer aller Seelenarzt fast unmöglich machen.

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