Mars Trilogie 1 - Roter Mars
»ihr haßt den Liberalismus, weil er funktioniert.«
Er knurrte.
»Doch! Er funktioniert allmählich, im Laufe der Zeit, nach schwerer Arbeit, ohne Feuerwerk oder billige Dramatik, oder daß Personen verletzt werden. Ohne eure sexistischen Revolutionen und alles, was damit an Qual und Haß verbunden ist. Er funktioniert einfach.«
»O Nadia!« Er legte seinen Arm um ihre Schultern, und sie gingen weiter auf die Basis zu. »Die Erde ist eine perfekt liberale Welt. Aber die Hälfte davon verhungert. So war es immer und so wird es immer sein. Sehr liberal.«
Dennoch schien Nadia ihn beeinflußt zu haben. Er hörte auf, nach einer einseitigen Entscheidung für die Ausbringung der neuen Genprodukte auf die Oberfläche zu rufen; und er beschränkte seine Propaganda auf sein Programm der Verschönerung und verbrachte viel Zeit mit Versuchen zur Herstellung von farbigen Backsteinen und Gläsern. Nadia traf sich mit ihm an den meisten Tagen zum Schwimmen vor dem Frühstück; und zusammen mit John und Maya zogen sie über eine Bahn in dem flachen Becken, das eine der überwölbten Kammern ganz ausfüllte, und schwammen ein flottes Training von ein- oder zweitausend Metern. John führte beim Sprinten, Maya bei weiten Distanzen, Nadia war bei allem im Rückstand, da sie durch ihre Hand behindert war; und sie quirlten durch das sehr spritzige Wasser wie eine Reihe von Delphinen, wenn sie durch ihre Schutzbrillen auf den himmelblauen Beton des Beckens schauten. »Der Schmetterlingsstil ist für diese Schwerkraft ideal«, sagte John und grinste darüber, wie sie praktisch aus dem Wasser herausfliegen konnten. Das Frühstück danach war angenehm, wenn auch kurz, und der Rest des Tages war die übliche Arbeitsroutine. Nadia bekam Arkady nur selten vor dem Abend beim Essen zu sehen. Oder danach.
Dann wurden Sax und Spencer fertig mit der Installation der Roboterfabrik für die Windmühlenheizer von Sax und beantragten bei der UNOMA Genehmigung, tausend Stück davon rings auf den Äquatorgebieten zu verteilen, um ihre effektive Heizleistung zu erproben. Man erwartete, daß sie alles in allem nur etwa doppelt so viel Wärme mehr liefern würden als Tschernobyl; und es wurde auch gefragt, ob man imstande sein würde, die zusätzliche Wärme von den Fluktuationen des Hintergrundes zu unterscheiden. Aber wie Sax sagte, würde man das erst sicher wissen, nachdem man es versucht hatte.
Und so flammte der Streit ums Terraformen wieder auf. Und Ann entwickelte plötzlich eine emsige Betriebsamkeit. Sie tippte lange Mitteilungen, die sie an die Mitglieder des Exekutivkomitees der UNOMA und an die nationalen Ämter für Marsangelegenheiten bei allen Ländern, die derzeit dem Komitee angehörten, und schließlich auch an die UN-Generalversammlung verschickte. Diese Verlautbarungen erhielten stärkste Beachtung, von den höchst seriösen politisch aktiven Ebenen bis hinunter zu Boulevardzeitungen und dem Fernsehen, zu Medien, die darin die neueste Episode der roten Seifenoper sahen. Ann hatte ihre Mitteilungen privatim geschrieben und verschickt. Daher erfuhren die Kolonisten davon erst, wenn Auszüge daraus im irdischen TV erschienen. Zu den nachfolgenden Reaktionen in den nächsten Tagen zählten Debatten bei der Regierung, eine Rallye in Washington mit zwanzigtausend Teilnehmern, endloser Raum in den Spalten der Presse und Kommentare in den wissenschaftlichen Netzen. Die Intensität dieser Reaktionen wirkte etwas schockierend, und manche Kolonisten waren der Meinung, daß Ann ihre Kompetenzen überschritten hätte. Phyllis ihrerseits war außer sich.
Sax sagte mit heftigem Augenzwinkern: »Außerdem ergibt das keinen Sinn. Tschernobyl entläßt schon fast so viel Wärme in die Atmosphäre wie diese Windmühlen, und darüber hat sie sich nie beklagt.«
»O doch«, sagte Nadia. »Sie hat bloß die Abstimmung verloren.«
Man hielt bei der UNOMA Hearings ab, und währenddessen trat eine Gruppe gewichtiger Wissenschaftler Ann beim Dinner entgegen. Viele der übrigen waren dort Zeugen dieser Konfrontation. Der Hauptspeisesaal von Underhill nahm vier Kammern ein, deren Trennwände entfernt und durch tragende Säulen ersetzt worden waren. Es war ein großer Raum voller Stühle und Topfpflanzen und der Abkömmlinge der Vögel von der Ares. Neuerdings wurde er auch erhellt durch Fenster, die an der ganzen Nordwand eingefügt waren, und durch die man die ebenerdigen Getreidefelder im Atrium erblickte. Ein großer Raum; und mindestens die Hälfte
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