Mars Trilogie 1 - Roter Mars
der Kolonisten waren darin beim Essen, als das Meeting stattfand.
»Warum hast du nicht mit uns diskutiert?« fragte Spencer Ann.
Sie zwang ihn mit einem scharfen Blick wegzuschauen und sagte, Sax zugewandt: »Warum sollte ich mit dir darüber diskutieren? Es ist klar, was ihr alle darüber denkt, wir haben das schon oft durchgekaut; und nichts, das ich sage, hat für euch einen Unterschied gemacht. Ihr sitzt hier in euren kleinen Löchern, macht eure kleinen Experimente und stellt Dinge her wie Kinder mit einem Chemiebaukasten im Keller, während die ganze Zeit eine ganze Welt draußen vor eurer Tür sitzt. Eine Welt, wo die Geländeformen hundertmal größer sind als ihre Entsprechungen auf der Erde und tausendmal älter, wobei überall Beweisstücke für den Anfang des Sonnensystems verstreut sind, ebenso wie die ganze Geschichte des Planeten, kaum verändert während der letzten Milliarde Jahren. Und ihr macht euch daran, das alles zu vernichten. Und auch ohne euch ehrlich einzugestehen, was ihr da tut. Weil wir hier leben und den Planeten studieren könnten, ohne ihn zu verändern. Das könnten wir tun mit sehr wenig Schaden oder auch nur Unannehmlichkeiten für uns selbst. All dieses Gerede über Strahlung ist doch Mist, und das wißt ihr auch. Ihr wollt das nur tun, weil ihr glaubt, es zu können. Ihr wollt es ausprobieren und sehen - als ob es ein großer Sandkasten auf einem Spielplatz wäre, auf dem ihr Häuser bauen könnt. Ein großer Marstopf! Ihr findet eure Rechtfertigungen, wo ihr könnt; aber das ist üble Zuversicht und keine Wissenschaft!«
Während dieser Tirade war ihr Gesicht rot angelaufen. Nadia hatte sie noch nie auch nur annähernd so wütend erlebt wie jetzt. Die gewöhnliche Tünche von Sachlichkeit, mit der sie ihren bitteren Ärger verdeckte, war dahin; und sie war fast sprachlos vor Wut und bebte. »Ich sage, das ist keine Wissenschaft! Es ist nur ein Herumspielen. Und für dieses Spiel schickt ihr euch an, diese einmalige historische Chronik zu zerstören, die Polkappen zu vernichten und die Abflußkanäle und die Böden der Canyons - eine schöne reine Landschaft unwiederbringlich zu verwüsten. Und das für überhaupt nichts!«
Im Raum war's mäuschenstill, alle waren wie versteinert. Die Ventilatoren summten. Die Leute fingen an, einander bedächtig anzusehen. Simon machte einen Schritt auf Ann zu mit ausgestreckter Hand. Sie stoppte ihn mit einem Blick. Er hätte ebensogut in seiner Unterwäsche hinausgegangen und steifgefroren sein können, so erstarrte er. Sein Gesicht lief rot an. Er verlor seine Haltung und setzte sich wieder hin.
Sax Russell stand auf. Er sah so aus wie immer, vielleicht etwas erhitzter als sonst, aber milde, klein, mit eulenhaftem Blinzeln und ruhiger, trockener Stimme, als ob er über einen Lehrbuchabschnitt der Thermodynamik eine Vorlesung hielte oder das Periodische System der Elemente aufsagte.
»Die Schönheit des Mars besteht im menschlichen Geist«, sagte er in diesem trockenen, sachlichen Ton, und alle starrten ihn erstaunt an. »Ohne die menschliche Präsenz ist er nur eine Ansammlung von Atomen, die sich von keinem anderen Fleck im Universum unterscheidet. Wir sind es, die ihn verstehen und ihm Sinn verleihen. Alle unsere Jahrhunderte haben wir zum Nachthimmel aufgeschaut und den Mars zwischen den Sternen wandern sehen. Alle jene Nächte haben wir ihn durch die Teleskope beobachtet, zugeschaut, eine winzige Scheibe betrachtet und versucht, Kanäle in den Veränderungen der Albedo zu erblicken. Alle diese blöden Science Fiction-Romane mit ihren Monstern und Jungfrauen und sterbenden Zivilisationen. Und all die Wissenschaftler, die die Daten erforscht haben oder uns hierher gebracht haben. Das ist es, was den Mars schön macht. Nicht der Basalt und die Oxide.«
Er machte eine Pause, um sie alle anzuschauen. Nadia schluckte. Es war höchst seltsam zu hören, wie diese Worte aus dem Mund von Sax Russell kamen, in dem gleichen trockenen Ton, den er bei der Analyse einer Datenkurve zu benutzen pflegte.
Er fuhr fort: »Jetzt, da wir hier sind, genügt es nicht, sich unter zehn Metern Boden zu verstecken und das Gestein zu untersuchen. Gewiß ist das Wissenschaft, und auch notwendige Forschung. Aber Wissenschaft ist mehr als das. Wissenschaft ist Teil eines größeren menschlichen Unterfangens; und dieses Unterfangen schließt ein, daß man zu den Sternen geht, sich anderen Planeten anpaßt und diese an uns. Wissenschaft ist Schöpfung. Das Fehlen
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