Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
argumentierten, daß jede unter dem Gestein eingefangene Luft rasch nach oben wegdiffundieren würde. Es mußte aber irgendein Schmiermittel geben. Unter anderem waren vorgeschlagen worden: eine Schicht aus infolge der Reibung geschmolzenem Gestein, akustische Wellen, die durch den Lärm des Falls verursacht wurden, oder auch nur das energetische Hüpfen der am Boden des Erdrutsches eingefangenen Partikel. Aber keine dieser Hypothesen war befriedigend; und niemand war sich sicher. Ann war mit einem geheimnisvollen Phänomen konfrontiert.
Nichts hinsichtlich der hier unter der Staubwolke auf sie zukommenden Masse wies auf die eine oder andere Theorie hin. Sicher glühte sie nicht wie geschmolzene Lava; und obwohl sie laut war, konnte man keinesfalls beurteilen, ob sie so laut war, daß sie auf ihrem sonischen Dröhnen reiten könnte. Auf jeden Fall kam sie näher, ganz gleich, durch welchen Mechanismus. Es sah ganz so aus, als ob, obwohl Ann eine Chance zu persönlicher Beobachtung hatte, ihr letzter Beitrag zur Geologie im Moment der Entdeckung verlorengehen würde.
Sie blickte auf ihre Uhr und war überrascht zu sehen, daß schon zwanzig Minuten vergangen waren. Man wußte, daß weite Eäufe schnell sein würden. Man schätzte, daß der Erdrutsch von Blackside in der Mojave-Wüste mit einhundertzwanzig Kilometern in der Stunde gelaufen war, wobei er eine Neigung von nur ein paar Grad nach unten glitt. Melas war im allgemeinen etwas steiler. Und tatsächlich kam die Front rasch näher. Der Lärm wurde stärker, wie direkt über einem grollender Donner. Die Staubwolke stieg höher und blockierte die nachmittägliche Sonne.
Ann wandte sich um und schaute auf den großen Marineris-Gletscher hinaus. Sie war von ihm einmalfast getötet worden, als der Ausbruch eines Wasserlagers die großen Canyons hinabströmte. Und Frank Chalmers war wirklich von ihm getötet und irgendwo weit stromabwärts im Eis begraben worden. Sein Tod war durch ihren Fehler verursacht worden, worüber die Gewissensbisse sie nie verlassen hatten. Es war nur ein Moment der Unaufmerksamkeit gewesen, aber eben doch ein Fehler. Und manche Fehler kann man nie wieder gutmachen.
Und dann war auch Simon gestorben, überwältigt von einem Schwall seiner weißen Blutzellen. Jetzt war sie an der Reihe. Die Erleichterung war so heftig, daß es geradezu schmerzte.
Sie hatte das Geschiebe vor sich. Der am Boden sichtbare Stein schien zu hüpfen, rollte aber nicht auf sie zu. Offenbar glitt er wirklich auf irgendeiner schmierenden Schicht. Geologen hatten fast intakte Wiesen im oberen Teil von Erdrutschen gefunden, die viele Kilometer zurückgelegt hatten. Also war das die Bestätigung von etwas Bekanntem. Es sah aber dennoch eigenartig aus, fast irreal. Ein niedriger Wall, der Über das Land vorrückte, ohne sich zu überschlagen - wie durch einen Zaubertrick. Der Boden unter den Füßen bebte; und Ann merkte, daß sie die Hände zu Fäusten geballt hatte. Sie dachte an Simon, der in seinen letzten Stunden mit dem Tode gekämpft hatte, undfauchte. Es erschien ihr nicht richtig, da zu stehen und das Ende so fröhlich zu begrüßen. Sie wußte, daß er es nicht billigen würde. Wie in einer seinem Geist geweihten Geste ging sie von dem niedrigen Lavadeich weg und ließ sich dahinter auf ein Knie nieder. Das grobe Korn des Basalts sah in dem braunen Licht stumpf aus. Sie fühlte die Vibrationen und sah zum Himmel auf. Sie hatte getan, was sie konnte; und niemand konnte ihr einen Vorwurf machen. Jedenfalls war es töricht, so zu denken. Niemand würde je erfahren, was sie hier machte, nicht einmal Simon. Und der Simon in ihrem Innern würde nie aufhören, sie zu plagen, ganz gleich, was sie täte. Also war es Zeit auszuruhen und dankbar zu sein. Die Staubwolke rollte über den niedrigen Deich, es erhob sich ein Wind...
Bum! Sie wurde durch den Anprall des Lärms flach hingestreckt. Dann rappelte sie sich auf und schleppte sich über den Boden des Canyons, von Steinen überschüttet. Sie steckte in einer dunklen Wolke und kroch auf Händen und Knien. Überall um sie herum war Staub, das Gebrüll knirschender Felsen erfüllte alles, und der Boden unter ihr schüttelte sich wie ein wildes Tier ...
Das Kumpeln ließ nach. Ann war immer noch auf allen vieren und fühlte den kalten Stein durch ihre Handschuhe und Knieschützer. Windstöße reinigten die Luft. Sie war von Staub und Gesteinssplittern bedeckt.
Wackelig stand sie auf. Ihre Hände und Knie schmerzten,
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