Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
Alter können wir nicht recht glauben, daß wir noch am Leben sind; darum handeln wir, als ob es jede Minute enden würde.«
»Das könnte es auch.« Gedanken an Simon. Oder Tatiana Durowa. Oder Arkadij.
»Natürlich. Aber andererseits könnte es viele Dekaden und selbst Jahrhunderte weitergehen. Irgendwann müssen wir das einfach glauben.« Er klang, als wollte er sich selbst ebenso überzeugen wie sie. »Du wirst deine heile Hand ansehen und es dann glauben. Und das wird sehr interessant sein.«
Nadia wedelte mit dem rosigen Knopf, der seitlich an ihrer Hand saß. Noch kein Fingerabdruck in der frischen durchsichtigen Haut. Wenn er käme, würde es ohne Zweifel derselbe sein wie der auf dem anderen kleinen Finger. Sehr merkwürdig.
Art kam mit besorgter Miene von einem Treffen zurück. »Ich habe mich überall erkundigt und versucht, dahinter zu kommen, warum sie das tun. Ich habe einige Agenten von Praxis auf den Fall angesetzt; unten im Canyon, auf der Erde und auch innerhalb der Führerschaft des Freien Mars.«
Spione, dachte Nadia. Jetzt haben wir auch noch Spione.
»Es scheint, daß sie hinsichtlich der Immigration private Arrangements mit terranischen Regierungen treffen. Sie erbauen Siedlungen für Leute aus Ägypten und wahrscheinlich auch für Einwanderer aus China. Es wird wohl eine Gegenleistung erfolgen, aber wir wissen nicht, was sie da von diesen Ländern erhalten. Vielleicht Geld.«
Nadia knurrte.
In den nächsten paar Tagen kam sie per Bildschirm oder persönlich mit allen anderen Mitgliedern des Exekutivrates zusammen. Marion war natürlich dagegen, noch mehr Wasser nach Marineris hineinzupumpen. Darum brauchte Nadia nur noch zwei weitere Stimmen. Aber Mikhail, Ariadne und Peter waren gegen einen Polizeieinsatz, sofern das irgendwie vermieden werden könnte. Und Nadia vermutete, daß sie nicht viel weniger als Jackie über die relative Schwäche des Rates erfreut waren. Sie schienen bereit, Zugeständnisse zu machen, um eine unangenehme und gewaltsame Durchsetzung eines Gerichtsbeschlusses zu verhindern, hinter dem sie nicht bedingungslos standen.
Zeyk wollte deutlich gegen Jackie stimmen, fühlte sich aber durch die arabische Wählerschaft in Cairo behindert und die von der arabischen Gemeinschaft auf ihn gerichteten Augen. Die Kontrolle von Wasser und Land waren denen gleichermaßen wichtig. Aber die Beduinen waren Nomaden, und außerdem war Zeyk ein starker Verfechter der Verfassung. Nadia nahm an, er würde sie unterstützen. Damit mußte dann nur noch einer überredet werden.
Die Beziehung zu Mikhail hatte sich nie gebessert. Es war, als ob er der Erinnerung an Arkadij näher sein wollte als sie. Peter glaubte sie nicht zu verstehen.
Ariadne mochte sie nicht, aber auf eine Weise, die es leichter machte. Und Ariadne war auch nach Cairo gekommen. Also beschloß Nadia, sie zuerst zu bearbeiten.
Ariadne war der Verfassung ebenso ergeben wie die meisten von Dorsa Brevia. Aber sie waren auch Lokalisten, denen ohne Zweifel daran gelegen war, ihre eigene Regierung von der globalen weitgehend unabhängig zu halten. Und auch sie waren von jeder Wasserversorgungsstelle weit entfernt. Darum war Ariadne dazu übergegangen, Ausflüchte zu machen.
»Schau«, sagte Nadia zu ihr in einem kleinen Raum an der Plaza gegenüber den Stadtbüros, »du mußt Dorsia Brevia vergessen und an den Mars denken.«
»Das tue ich natürlich.«
Sie war ärgerlich, daß diese Zusammenkunft stattfand. Sie hätte Nadia lieber kurzerhand weggeschickt. Für sie spielte die Bedeutung des Falles keine Rolle. Es war bloß eine Frage der Priorität, daß man überhaupt keinen Issei angehört hatte. Für diese Leute ging es jetzt um Machtpolitik und Hierarchie. Sie hatten vergessen, worauf es hier wirklich ankam. Und in dieser verdammten Stadt. Nadia verlor die Geduld und brüllte beinahe: »Du denkst überhaupt nicht nach! Dies ist die erste Herausforderung für die Verfassung; und du siehst dich danach um, was für dich dabei herausspringen könnte! Das paßt mir nicht.« Sie drohte mit dem Finger vor Ariadnes überraschtem Gesicht. »Wenn du nicht dafür stimmst, die Entscheidung des Gerichtshofes durchzusetzen, dann wirst du beim nächsten Mal, wenn etwas bei einer Abstimmung des Rates ansteht, das du wirklich willst, Repressalien von mir erleben. Verstehst du?«
Ariadnes Augen waren wie Plakate - erst schockiert, dann ein Moment reiner Furcht und dann Wut.
»Ich habe nie gesagt, daß ich nicht für eine
Weitere Kostenlose Bücher