Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
allgemeine Einladung überbracht, sie sollten so viele Leute herüberschicken, wie sie könnten. Und historisch hatte der Freie Mars sich immer für starke Bande mit der Erde eingesetzt, um die sogenannte Strategie, wonach >der Schwanz mit dem Hund wedelt<, zu versuchen. Aber der derzeitigen Führerschaft schien diese Position nicht besonders zu gefallen. Und Jackie befand sich inmitten dieser neuen Gruppe. Sie hatten sich schon während des Verfassungskongresses zu einem mehr isolationistischen Standpunkt verlagert, wie sich Nadia erinnerte, und immer für mehr Unabhängigkeit von der Erde plädiert. Andererseits machten sie offenbar privatim Geschäfte mit gewissen Ländern der Erde. Daher war die Position des Freien Mars zwiespältig und vielleicht sogar heuchlerisch. Sie schien darauf abzuzielen, ihre Macht in der politischen Szenerie zu vergrößern.
Aber selbst wenn man den Freien Mars beiseite ließ, gab es da draußen viel isolationistische Stimmung. Neben den Anarchisten tendierten einige Bogdanovisten, die matriarchistischen Leute von Dorsa Brevia und die von Mars Zuerst hierin nach der Seite der Roten. Sie alle argumentierten, wenn Millionen und Abermillionen Terraner auf den Mars zu strömen begännen, was würde dann aus dem Mars werden - nicht bloß aus der Landschaft, sondern auch der Kultur des Mars, die sich im Laufe der m-Jahre herausgebildet hatte? Würde die nicht in den alten Wegen untergehen, die der neue Zustrom mit sich brächte, der rasch die eingeborene Bevölkerung an Zahl übertreffen dürfte? Die Geburtenraten sanken doch überall, und kinderlose Familien und Familien mit einem Kind waren auf dem Mars so verbreitet wie auf der Erde. Daher wäre wohl kein großes Anwachsen der eingeborenen Population zu erwarten. Sie würde zahlenmäßig bald an den Rand gedrängt werden.
So argumentierte Jackie, zumindest in der Öffentlichkeit, und die von Dorsa Brevia und viele andere stimmten ihr zu. Nirgal, eben zurück von der Erde, schien in dieser Situation keinen großen Einfluß zu haben. Und während Nadia verstehen konnte, worauf es ihren Opponenten ankam, fühlte sie auch, daß es angesichts der Lage auf der Erde unrealistisch wäre zu denken, sie könnten den Mars einfach dichtmachen. Der Mars konnte die Erde nicht retten, wie Nirgal während seines Besuches dort anscheinend manchmal verkündet hatte; aber es war ein Abkommen mit den UN geschlossen und ratifiziert worden. Darum waren sie verpflichtet, mindestens so viele Terraner hereinzulassen, wie der Vertrag festlegte. Darum mußte die Brücke zwischen den Welten erweitert werden, wenn sie dieser Verpflichtung nachkommen und den Vertrag erfüllen wollten. Andernfalls, so dachte Nadia, könnte alles mögliche passieren.
Aus diesen Gründen sprach sich Nadia in der Debatte über die Genehmigung eines zweiten Kabels dafür aus. Es erhöhte die Kapazität des Transportsystems, so wie sie versprochen hatten, wenn auch nur indirekt. Und es würde auch von den Städten auf Tharsis und jener Seite des Mars allgemein etwas von dem Druck nehmen. Karten der Bevölkerungsdichte zeigten, daß Pavonis wie das Zentrum einer Zielscheibe war, mit Menschen, die von ihm nach draußen strebten und sich so nahe wie angängig dabei niederließen. Wenn man ein Kabel auf der anderen Seite der Welt hätte, würde das helfen, etwas auszugleichen.
Aber für die Gegner des Kabels war das ein zweifelhafter Nutzen. Die wollten eine lokalisierte, zusammengehaltene Bevölkerung und ein verlangsamtes Wachstum. Der Vertrag interessierte sie wenig. Als es daher im Rat zu einer Abstimmung kam, die ohnehin für die Legislative nur eine Empfehlung sein konnte, stimmte nur Zeyk mit Nadia. Das war Jackies bisher größter Sieg, der sie in eine zeitweilige Allianz mit Irishka und dem Rest der Umweltgerichtshöfe versetzte, die prinzipiell gegen alle Formen einer raschen Entwicklung waren.
Nadia kam an diesem Tag entmutigt und bekümmert in ihr Apartment zurück. »Wir haben der Erde versprochen, eine Menge Einwanderer aufzunehmen, und dann die Zugbrücke hochgezogen. Das wird zu Unannehmlichkeiten führen.«
Art nickte. »Wir werden etwas ausarbeiten müssen.«
Nadia stieß enttäuscht einen tiefen Seufzer aus. »Arbeit. Wir werden nichts ausarbeiten. Arbeit ist nicht das richtige Wort dafür. Wir werden feilschen und hadern und streiten und meckern. Ich werde immer weitermachen. Ich dachte, daß Mrgal zurück ist, würde helfen; aber das nützt nichts, wenn er nicht
Weitere Kostenlose Bücher