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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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den Rand der großen Wand mit deutlich mehr als der Endgeschwindigkeit. Der Vorbeiflug an der Klippe war das Zeichen zum Hochziehen; denn so hoch die Klippe auch war, raste doch der Boden des Chasmas auf sie zu wie ein Schlag ins Gesicht, und es erforderte doch einige Zeit hochzuziehen, selbst bei ihrer Kraft, Geschicklichkeit und Nervenstärke und der Verstärkung durch den Anzug. Also krümmte sie den Rücken und spreizte die Flügel. Sie fühlte die Anstrengung in Brust und Bizeps, einen ungeheuren Druck, obwohl ihr der Anzug mit logarithmisch zunehmendem Prozentanteil der Belastung half. Schwanzfedern nach unten, los! Vier harte Flügelschläge. Und dann parierte sie den Sturz so knapp über dem Sandboden des Chasmas, daß sie eine Maus davon hätte aufgreifen können.
    Sie wendete, kam in den Aufwind und schwenkte wieder zurück in sich neu entwickelnde hohe Wolken. Der Wind war an diesem Tage unberechenbar. Und es war ein alle Aufmerksamkeit forderndes Vergnügen, sich darin zu tummeln und zu spielen. Das war der Sinn des Lebens, der Zweck des Universums: reine Freude, das Gefühl der Selbstvergessenheit, wobei der Geist nicht mehr als ein Spiegel des Windes wurde. Überschwenglichkeit. Man sagte, sie fliege wie ein Engel. Manchmal flog man wie eine Drohne, manchmal wie ein Vogel; und in seltenen Fällen flog man wie ein Engel. Das war schon lange her gewesen.
    Sie kam wieder zu sich und schwebte an der Wand hinunter auf Overlook zu. Sie fühlte Erschöpfung in den Armen. Dann sichtete sie einen Falken. Wie viele Flieger verfolgte sie einen Vogel, wenn sie ihn erblickte. Sie beobachtete ihn näher, als es jemals zuvor ein Vogelfreund getan hatte, ahmte jeden Übergang und jede Flügelbewegung nach, die Genialität seines Fluges zu erkennen. Manchmal kreisten die Falken harmlos über dieser Klippe auf der Suche nach Futter, und ein ganzes Geschwader von Fliegern folgte ihren Bewegungen oder versuchte es wenigstens. Es machte Spaß.
    Jetzt beschattete sie den Falken, kurvte, wenn er es tat, und ahmte die Stellung von Flügeln und Schwanz nach. Seine Beherrschung der Luft war ein Talent, nach dem sie sich sehnte, das sie aber nie besitzen würde. Aber sie konnte es immerhin versuchen. Helle Sonne in eilenden Wolken, indigofarbener Himmel, der Wind gegen ihren Körper, kleine Verzückungen im Leib bei geringem Gewicht, wenn sie zum Sturz überging... ewige Momente ohne Bewußtsein. Die beste und sauberste Verwendung menschlicher Zeit.
    Aber die Sonne senkte sich im Westen, und Zo wurde durstig. Darum überließ sie den Falken seinem Tun, drehte ab und schwebte in weiten, lässigen S-Kurven zu Overlook hinunter, wo sie ihre Landung mit einem Flügelschlag stehend ausführte, genau auf dem grünen Kokopelli, als ob sie nie fort gewesen wäre.
     
    Die Nachbarschaft hinter dem Startkomplex hieß Topside und war eine Ansammlung billiger Herbergen und Restaurants, die fast nur von Fliegern und Touristen, die sich das Fliegen ansehen wollten, bewohnt waren. Sie alle aßen, tranken und streiften umher, redeten und tanzten und schauten sich nach jemanden um, mit dem man die Nacht verbringen konnte. Und dort waren auch, keineswegs überraschend, ihre Fliegerkameraden Rose und Imhotep und Ella und Estavan, alle in einer Gruppe im Adler-Bräuhaus. Sie waren schon beschwipst und entzückt, Zo wieder unter sich zu sehen. Sie tranken im Adler etwas zur Feier der Wiedervereinigung, gingen dann nach Overlook-Overlook und setzten sich auf die Brüstung, um den Klatsch nachzuholen. Sie ließen einen großen Humpen kreisen, dessen Inhalt mit Pandorph versetzt war, machten freche Bemerkungen über die unter dem Geländer vorbeiziehenden Leute und riefen Freunden zu, die sie in der Menge erspähten.
    Schließlich verließen sie Overlook-Overlook und begaben sich in die Mengen von Topside hinunter. Langsam drehten sie ihre Runde durch die Kneipen zu den Badehäusern. Sie legten im Umkleideraum ihre Kleidung ab und wanderten nackt durch die dunklen warmen, mit Wasserbecken ausgestatteten Räume. Das Wasser war hüfttief, knöcheltief, brusttief; heiß, kalt und lauwarm. Sie verteilten sich und fanden später wieder zusammen, sie hatten in der Düsternis Sex mit kaum sichtbaren fremden Personen. Zo arbeitete sich langsam durch mehrere Partner zu ihrem Orgasmus durch und schnurrte behaglich, als ihr Körper sich in sich verkrampfte und ihr Bewußtsein schwand. Sex, Sex - nur Sex ähnelte dem Fliegen. Die Verzückung des Körpers, ein

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