Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
Zo ihr Zimmer verließ, hatte sie mindestens fünfhundert Menschen vor Augen und oft ein paar tausend. Der Anblick all dieses-Lebens in den Straßen war auf schreckliche Weise erheiternd. Eine Welt von Zwergen und Knirpsen und allerhand anderen kleinen Leuten, die sie alle erblickten und sich zusammendrängten wie Nestlinge an ihre Eltern, um sich füttern zu lassen. Obwohl Zo einräumen mußte, daß das Gedränge etwas freundlicher war als jenes, mehr durch Neugier veranlaßt als durch Hunger. Man schien sich tatsächlich mehr für ihr Exoskelett zu interessieren als für sie selbst. Und sie schienen recht fröhlich zu sein, mager, aber nicht abgezehrt, selbst wenn sie offenbar auf den Straßen wohnten. Die Straßen selbst waren jetzt in Kooperativen aufgeteilt. Die Menschen hatten Besitzanspruch, fegten sie und regelten die Unzahl kleiner Märkte, zogen auf jedem Platz Getreide und schliefen auch dazwischen. So war das Leben auf der Erde im Ausgang des Holozäns gewesen. Nach Ariadne war es ständig bergab gegangen.
Zo ging hinauf zu Prahapore, einer Enklave in den Bergen nördlich der Stadt. Hier wohnte eine von Jackies weiblichen terranischen Spionen in einem Wohnheim, das gedrängt voll war mit geplagtem Verwaltungspersonal. Die Leute wohnten neben ihren Bildschirmen und schliefen unter ihren Pulten. Jackies Kontaktperson war eine Progammiererin von Übersetzungsgeräten, eine Frau, die Mandarin, Urdu, Drawidisch und Vietnamesisch ebenso beherrschte wie Hindi und Englisch. Sie spielte eine wichtige Rolle in einem ausgedehnten Lauschnetz und konnte Jackie über manch indisch-chinesische Konversation, die den Mars betraf, auf dem laufenden halten.
Als sie sich draußen in dem kleinen Kräutergarten des Grundstücks befanden, sagte die beleibte Frau zu Zo: »Natürlich werden sie beide mehr Menschen auf den Mars schicken. Das ist sicher. Aber es sieht so aus, als glaubten beide Regierungen, für ihre Bevölkerung eine langfristige Lösung zu haben. Man erwartet von niemandem mehr, daß er mehr als ein Kind hat. Das ist nicht nur das Gesetz, es ist die Tradition.«
»Das Gesetz der Gebärmutter«, sagte Zo.
Die Frau zuckte die Achseln. »Möglicherweise. Auf jeden Fall eine sehr strenge Tradition. Die Leute sehen sich um und erkennen das Problem. Sie erwarten, die Langlebigkeitsbehandlung zu bekommen und dabei auch das Sterilitätsimplantat. Und in Indien freuen sie sich, wenn sie die Genehmigung erhalten, das Implantat zu entfernen. Wenn sie dann ein Kind haben, erwarten sie die endgültige Sterilisation. Sogar die Hindufundamentalisten sind dazu übergegangen. Der soziale Druck auf sie war zu groß. Und die Chinesen praktizieren das seit Jahrhunderten. Die Langlebigkeitsbehandlung hat nur das verstärkt, was sich ohnehin schon eingebürgert hatte.«
»Also hat der Mars von ihnen weniger zu befürchten, als Jackie denkt.«
»Nun, sie wollen immer noch Emigranten schicken. Das ist ein Teil der allgemeinen Strategie. Und der Widerstand gegen das Einkindgesetz war in einigen katholischen und muslimischen Ländern stärker. Einige dieser Nationen möchten den Mars kolonisieren, als wäre er leer. Die Bedrohung verlagert sich jetzt von Indien und China zu den Philippinen, nach Brasilien und Pakistan.«
»Hmm«, machte Zo. Gespräche über Immigration bedrückten sie immer. Bedrohung durch Lemminge. »Was ist mit den Exmetas?«
»Die alte Elfergruppe kommt wieder auf Unterstützung der stärksten unter den alten Metanats zurück. Sie werden sich nach Plätzen zur Entwicklung umsehen. Sie sind viel schwächer als vor der Flut, haben aber immer noch starken Einfluß in Amerika, Rußland, Europa und Südamerika. Sag Jackie, sie soll aufpassen, was Japan in den nächsten Monaten tut. Sie wird verstehen, was ich damit meine.« Sie verbanden die Armbandgeräte, damit die Frau eine sichere Übertragung detaillierter Information für Jackie machen konnte.
»Okay«, sagte Zo. Sie war plötzlich müde, als wäre ein fetter Mann zu ihr ins Exoskelett gekrochen und zöge sie nach unten. Die Erde war eine Belastung. Manche Leute sagten, sie liebten das Gewicht, als ob sie diesen Druck brauchten, um von ihrer Realität überzeugt zu sein. Zo war nicht so. Die Erde war für sie der Inbegriff von Exotik. Das war fein, aber sie hatte plötzlich das Verlangen, daheim zu sein. Sie stöpselte ihr Armband von dem Übersetzer aus und stellte sich den perfekten Mittelweg vor, jenen perfekten Test von Willen und Fleisch - die exquisite
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